(2) Das gespaltene Israel und die Heidenvölker

(1965): Zur Motivierung der Heidenmission in der Apostelgeschichte

a. Aus der Apostelgeschichte geht hervor, dass die in Christus erfüllten Verheißungen Israel gehören und dass den Heiden die Teilnahme an diesen Verheißungen geschenkt wird. Die häufigen Notizen von jüdischen Massenbekehrungen einerseits und die Erzählungen von Ablehnungen der Botschaft sowie von Juden inszenierten Verfolgungen andererseits, zeigen uns ein Israel, das angesichts der Missionsverkündigung in zwei Gruppen gespalten ist: das bußfertige und das unbußfertige Israel. Mit der Missionsarbeit beginnt ein heilsgeschichtlich notwendiger Prozess: Die Ausscheidung der nicht gläubigen unbußfertigen Juden aus Israel. Der Messiasgläubige und bekehrungsbereite Teil der Juden erscheint als das gereinigte, wiederhergestellte und wahre Israel. Seit Beginn der Mission steht fest, dass die Heiden nach der Schrift und in Übereinstimmung mit dem Missionsbefehl Anteil haben an dem Heil, d.h. an der Verheißung Israels. Die Heidenmission ist in dem Sinne Schrifterfüllung, dass sich die Verheißungen erst an Israel erfüllen müssen, ehe die Heiden an dem Heil, den erfüllten Verheißungen, teilnehmen können (70f).

b. Jüdische Massenbekehrungen: 2.41 (47); 4,4; 5,14; 6,1.7; 9,24; 12.24; 13,43; 14,1; 17,10ff; (19,20); 21,20. Bei der Erwähnung von Heidenbekehrungen handelt es sich hauptsächlich um 'gottesfürchtige' Heiden, die durch die Synagoge schon in einer Beziehung zu Israel und dem Judentum stehen, ohne beschnitten zu sein (13,43; 14,1; 17,4.12). In der Cornelius-Erzählung (10,1ff) wird die jüdische Frömmigkeit des Cornelius betont. Die Hauptsache für Lukas ist zu erzählen, dass Zehntausende frommer Juden zum Glauben gekommen sind (21,20) und dass die bekehrten Heiden 'Gottesfürchtige' waren, d.h. Menschen, die schon in einer Beziehung zu Israel standen: Die Heiden der Synagoge nehmen das Evangelium an (72f).

Notizen bis zur Corneliusgeschichte und dem damit zusammenhängenden Apostelkonzil: 2,41 werden 3000 Juden bekehrt; 4,4 sind es 5000; 5,14 kommen noch mehr als früher hinzu, große Massen von Frauen und Männern; 6,7 die Zahl mehrt sich enorm (nach 21,20 gibt es viele Zehntausende gläubiger Juden). Es ist wichtig, dass die Massenbekehrungen in Jerusalem stattgefunden haben. Wenn Jakobus (21,20) von Zehntausenden gläubiger Juden in der Kirche spricht, handelt es sich um Jerusalem. In der Jerusalemer Zeit der Kirche scheint den Missionaren nichts zu misslingen, wenn es gilt Juden für das Evangelium zu gewinnen (73f).

Die erste Massenbekehrung findet unter den Gottesfürchtigen statt (2,41); die Schrifttreuen sind es, die sich bekehren (17,11ff); ein Synagogenvorsteher nimmt das Evangelium an (18,8); die vielen Zehntausende gläubiger Juden sind alle Eiferer für das Gesetz (21,20). Die Wirkung der Rede des Petrus (3,11ff) auf dem Tempelplatz ist Verfolgung der Missionare durch jüdische Leiter (4,1ff) und gleichzeitig eine Massenbekehrung (4,4). Vor dem zweiten Verhör und der Verhaftung (5,1ff), bringt Lukas wieder eine Bemerkung über das überwältigende Wachstum der Gemeinde (5,14). Vor der Hinrichtung des Stephanus und der sich daraus ergebenden Verfolgung, berichtet Lukas von dem Erfolg der Mission unter den Priestern in Jerusalem (6,7) (74f).

Das gleiche Bild findet sich in den Synagogenszenen der Diaspora (Kp 9ff). Das Auftreten der Missionare im pisidischen Antiochien hat zunächst jüdische Bekehrungen zur Folge und erst dann Widerstand (13,42f.45). In Iconium kommen Juden und andere zum Glauben, während die unbußfertigen Juden eine Verfolgung inszenieren (14,2ff). In Thessalonich werden einige Juden bekehrt, während andere eine neue Verfolgung beginnen (17,5f). Einer Massenbekehrung der Juden in Beröa, die den Missionaren aufgeschlossen begegnen, folgt eine Schilderung einer Aufwiegelung der Bevölkerung, die von Juden aus Thessalonich hervorgerufen wird (17,12). Lukas legt Wert darauf zu betonen, dass die christliche Mission vor allem in Jerusalem erfolgreich war, während die Heimholung der Diaspora nicht dieselbe Bedeutung hat, obwohl auch dieses für ihn zur Erfüllung der Verheißungen gehört (75f).

Lukas macht seinen Lesern deutlich: Von Anfang an war die Mission unter den Juden erfolgreich, so dass sich ein bedeutender Teil des jüdischen Volkes bekehrte. „Viele Zehntausende von Gesetzeseiferern“ (21,20) gab es bereits, bevor die Kirche zur Heidenmission überging. Mit dem Kommen des Evangeliums nach Rom wird die Botschaft den Juden der ganzen Welt verkündigt. Das letzte Bild des jüdischen Volkes in der Apostelgeschichte ist das Bild eines gespaltenen Israels gegenüber der Mission: Einige lassen sich überzeugen, andere verbleiben ungläubig (28,24f) (76f).

c. Was bedeutet die Spaltung Israels für das lkn Verständnis der Heidenmission? Es liegt Lukas sehr viel daran zu zeigen, dass die urchristliche Kirche ein Teil Israels ist. Lukas betont das fromme jüdische Leben der Urgemeinde: die Gläubigen halten sich im Tempel auf, leben in der Gesetzeserfüllung und nach der väterlichen Sitte, weil sie auf die Wiedererrichtung Israels hoffen (1,6; 2,46; 3,1; 5,12; 10,9ff; 11,2; 15,1ff; 16,3; 21,20ff etc.) Für Lukas vertreten die christlichen Missionare das eigentlich Jüdische und beanspruchen Israels Repräsentanten zu sein. Die Rede des Paulus in der Synagoge des pisidischen Antiochiens hat eine doppelte Adresse: „Brüder, Söhne des Geschlechts Abrahams und die Gottesfürchtigen unter euch“ (das sind die gottesfürchtigen Heiden) (13,26). Die Bezeichnung 'Brüder' kann nur auf die Israeliten angewandt werden (78f).

Lukas zeichnet ein Bild eines Israels, an dem sich die Verheißungen erfüllen. Geraden an dem alten Israel erfüllen sich die Verheißungen, auf die Weise, dass große Teile des Volkes sich bekehren. Was Lukas mit den Berichten von den Massenbekehrungen und dem Judentum der Urgemeinde beabsichtigt, kommt in der Rede des Jakobus in Jerusalem (15,13-21) zum Ausdruck. Dies gilt besonders vom Schriftbeweis (Vv 16f); „Danach will ich mich ihnen wieder zuwenden und die zerfallene Hütte Davids wieder aufbauen, … damit die übrigen Menschen nach dem Herrn fragen, dazu alle Heiden, über die mein Name genannt ist, spricht der Herr“ (Amos 9,11). Diese Wiedergabe aus Amos scheint zu sagen, dass Gott zuerst Israel wiederaufbauen und wiederrichten wird und dann, als Resultat dieses Geschehens, werden die Heiden den Herrn suchen. Die Cornelius-Episode wird hier als Beweis gebraucht, um zu zeigen, dass sowohl die Wiederaufrichtung der zerfallenen Hütte Davids wie auch das Suchen des Herrn seitens der Heiden bereits geschehen ist (79).

Hier handelt es sich nicht um die Stellung der Heiden zur Geschichte Jesu, auch nicht um die Heidenmission im Allgemeinen, sondern um die gesetzesfreie Heidenmission (15,1ff.19ff). Entsprechend den zwei Gruppen des Zitates handelt es sich hier im Zusammenhang um zwei Gruppen von Menschen, weil das Problem in der vorhergehenden Darstellung in der Beziehung zwischen gläubigen Juden und bekehrten Heiden besteht (Vv 8ff). Es scheint so, als sei die Wiederaufrichtung des Volkes Israel gemeint. Die Bekehrung der Heiden ist die Erfüllung der Verheißungen an Israel: Die Heiden gewinnen Anteil an dem, was mit Israel geschieht. Das stimmt mit dem jüdischen Gedankengang überein, nachdem die Heiden in der Endzeit sich dem wiederaufgerichteten Israel anschließen werden. Wenn Lukas dem Jakobus solche Worte in den Mund legt, wonach eine Wiederaufrichtung Israels vorausgesetzt wird, hängt das damit zusammen, dass die bußfertigen, gläubigen Juden für Lukas Israel sind. Von dieser Gruppe redet nach Lukas V. 16. Die Verheißungen haben sich erfüllt dadurch, dass ein bedeutender Teil des Volkes das Heil angenommen hat. Ehe der erste Heide hinzukam, haben sich große Mengen von Juden bekehrt. Die Kontinuität der Heilgeschichte liegt nicht ausschließlich in der Geschichte Jesu, sondern auch in dem Volk, das Israel repräsentiert (80f).

Ein Teil Israels verliert sein Zugehörigkeitsrecht zum Volk Gottes. Durch die Missionsverkündigung ereignet sich der Ausschluss der Unbußfertigen (die Erfüllung des prophetischen Wortes von 3,23). Eine Bekehrung von ganz Israel kommt für Lukas nicht in Frage, weil es der Wille Gottes ist, dass einige ausgeschlossen werden sollen. Nach Lukas kann Jakobus mit Recht sagen, dass die Bekehrung und Wiederaufrichtung Israels die Voraussetzung dafür bildet, dass auch die Heiden den Herrn suchen. So verhält es sich mit Cornelius. So geschieht es weiter durch die Synagogen mit ihren gemischten Ansammlungen von Menschen, gerade dort treten die Missionare auf. Die Bekehrungen geschehen durch die Synagogen, weil die Zerstreuten der Diaspora eingesammelt werden und weil die Ausschließung der Unbußfertigen gerade hier stattfinden muss. Man kann das wahre Judentum dieser bekehrten Juden nicht bezweifeln: Alle sind Eiferer für das Gesetz. Erst wenn Israel das Evangelium angenommen hat, kann der Weg zu den Heiden beschritten werden. Das Annehmen der Botschaft geschah primär durch die judenchristliche Gemeinde in Jerusalem. Unbußfertige Teile des Volkes können die Erfüllung der Verheißungen an Israel nicht verhindern. Auch der Widerstand ist Erfüllung der prophetischen Weissagungen. Dass Cornelius Petrus aufsucht, zeigt das jetzige Hinzukommen der Heiden (82f).

d. Die Missionsverkündigung an die Heiden ist Gottes Befehl in der Schrift: (Lk 24,47; Apg 3,25; 13,47; 15,16f; vgl. 10,43. Die Heiden sind impliziert, wenn die Missionare sich an die Juden wenden. Jedoch dürfen die Heiden nicht direkt in das Blickfeld treten, ehe nicht die Wiederaufrichtung Israels und die Erfüllung der Verheißungen am Gottesvolk geschehen sind. Die Schrift bezeugt die Kreuzigung und Auferstehung des Messias und dass „auf Grund seines Namens verkündet wird Umkehr zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern, angefangen von Jerusalem“. Die konsequente Judenmission meint nicht eine Beschränkung des Heils auf Israel, sondern dass die Völker durch Israel erreicht werden sollen. Ohne Schriftbeweis wird der Befehl zur Weltmission (1,8) wiederholt: Die Apostel werden Zeugen sein in Jerusalem, Judäa, Samaria und bis an das Ende der Erde. Nach Lukas waren sich die Apostel darüber im klaren, dass sie zur Weltmission berufen und befohlen waren. Dass die Apostel bis zur Corneliusepisode ausschließlich Judenmission treiben, drückt das lkn Missionsverständnis aus (83f).

In der Rede an die Heiden im Haus des Cornelius (10,34-43) erörtert Petrus das auf Israel gekommene Heil. Die Botschaft an Israel schließt auch die Heiden ein, die nur durch Israel erreicht werden können. Denn zu Israel ist gesagt, dass Jesus der Herr aller ist (V. 36); zu Israel ist auch gesagt, dass Jesus der Richter der Lebenden und der Toten ist (V. 42); alle Propheten bezeugen, dass jeder, der an ihn glaubt, durch seinen Namen die Vergebung der Sünden empfängt (V. 43). Wenn Cornelius des Heils teilhaftig wird, erfüllt sich, was Israel verheißen worden ist: Durch Israel erreicht das Heil die ganze Welt. In seiner Rede an das Weltjudentum (2,14-40), bei der Vertreter der unter allen Völkern lebenden Juden anwesend sind (2,5), sagt Petrus, dass die Verheißung „euch und euren Kindern und allen in der Ferne“ gilt (2,39). Hier wird das Zitat aus Joel 3,5 in 2,21 wieder aufgenommen und die Aussage kann in Verbindung mit Lk 21,47 und Apg 1,8 nicht anders verstanden werden als Einbeziehung der Heiden in die Verheißungen an Israel. Durch Israel sollen die Völker erreicht werden. Dies ist sinnvoll, weil die Zuhörerschaft alle Völker vertritt. Durch eine Massenbekehrung dieser Diasporajuden setzt sich die Urgemeinde aus Juden aller Völker zusammen (84f).

Die Rede des Petrus (3,11-26) schließt in den Versen 22-26 mit einer Erörterung über die Bedeutung der jüdischen Entscheidung für oder gegen die Bekehrungsermahnung ab. Diese Botschaft hat ein weiteres Ziel als nur die Juden: „Euch zuerst“ (V. 26) ist es verkündigt worden. Ehe die Juden die Möglichkeit hatten, das Evangelium abzulehnen, weiß Petrus von der Annahme der Heiden. Die Vv 22-26 schildern die doppelte Möglichkeit des jüdischen Volkes: sich nicht bekehren, heißt vom Volk ausgeschlossen zu werden (V. 23), Bekehrung dagegen bedeutet Teilnahme am messianischen Heil und Teilhabe am Bund Abrahams (Vv. 25f). Die Zuhörer sind als Juden bereits Söhne des Abrahambundes (V. 25a), somit bedeutet das Heil eine Bestätigung des Abrahambundes für diejenigen, die sich bekehrt haben und nicht vom Volk ausgeschlossen werden. Dieser Bund wird hier mit Hilfe eines Zitates aus Gen 22,18 beschrieben: … „In deinem Samen sollen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden“ (85f).

In den Lukasschriften wird der Ausdruck 'Same Abrahams' nie auf Christus oder die Kirche bezogen. In 7,5f und Lk 1,55 ist 'der Same' Israel (Lk 13,16; 19,9). Das Wort bezeichnet nur Israel und die Israeliten. Der Bund mit Israel besteht darin, dass alle Völker in Abrahams Samen gesegnet werden. Von dem Ausschluss des Unbußfertigen redet V. 23, wonach V. 25 ausführt, was durch die geschehen soll, die im Volk verbleiben: die von Ewigkeit her bestimmte Wiederaufrichtung. Diese ist eine Bedingung für das Kommen des Messias (V. 20). Wiederaufrichtung heißt auch Restituierung des Volkes. Wenn Sperma 'Israel' bedeutet, eröffnet sich folgender Sinn: Durch Israel, die Söhne der Propheten und des Bundes, sollen die übrigen Völker der Welt gesegnet werden. Deshalb sandte Gott Christus zuerst zu den Juden, mit der Absicht durch sie auch die Heiden zu erreichen. Das Hinzukommen der Heiden gehört zur Wideraufrichtung Israels (86f).

In der Rede des Paulus an die Juden des pisidischen Antiochiens (13,16-47) wird wiederholt betont, dass die Verheißungen den Juden gehören und dass das Heil ihnen gesandt ist (Vv. 23.26.31.33). Gerade den Juden wird gesagt, dass jeder Glaubende durch Christus gerechtfertigt wird (V. 39). Die Rechtfertigung umfasst auch Heiden (V. 39), die des Heils teilhaftig geworden sind. Eine große Zahl von Juden und Proselyten bekehrt sich (V. 43), während andere das Evangelium ablehnen (V. 46). V. 47: „So hat uns der Herr geboten“. Jes 49,6: “Ich habe dich zum Licht der Heiden gemacht, damit du das Heil seist bis an die Enden der Erde“. Schon vor der Rede in dieser Synagoge standen die Missionare unter dem Gebot sich an die Heiden zu wenden. Die Heidenmission ist schon im Missionsbefehl Gottes enthalten. Ausgesandt zu den Heiden, wenden sich die Missionare, auf Grund der Bestimmung Gottes (V. 46) an die Juden! Israel ist zum Licht der Heiden gesetzt worden, wenn die Missionare das wahre Israel vertreten. Durch sie dringt das Licht in die Welt der Heiden. Jedoch müssen die Ungehorsamen im Volk zuerst ausgerottet werden, damit klar wird, wer zu Israel gehört. Die Juden sollen sich davor hüten, die künftige Gottestat zu verachten (das Teilhaftigwerden der Heiden am 'Eigentum' Israel), wenn anders die Juden selber nicht aus dem Volk ausgerottet werden sollen. V. 46: „Euch musste das Wort Gottes zuerst gesagt werden; da ihr es aber von euch stoßt und haltet euch selbst nicht für würdig des ewigen Lebens, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden“ (88f).

Lukas liegt daran zu betonen, dass die Unbußfertigen aus Israel ausgeschlossen und die Bußfertigen gesammelt werden müssen, ehe die Heidenmission möglich wird. An gewissen Orten werden die Missionare höchst wohlwollend empfangen (17,10ff und 18,19f). Nur an einem Ort finden wir eine hartnäckige Ablehnung: in Korinth (18,4ff). Lukas liegt daran, aufzuzeigen, dass einige der 'echten' Juden auch hier gläubig wurden: Krispus (V. 8). Typisch für fast alle Szenen ist, dass die Juden durch die Missionsverkündigung in zwei Lager gespalten werden, indem die Unbußfertigen von den anderen geschieden werden. Wer sich nicht bekehrt, wird aus dem Volk ausgerottet. Es handelt sich um ein Geschehen, das notwendig ist, um zu klären, wer zu Israel gehört. Der Zustrom der Heiden geschieht, weil sich die Verheißungen an Israel erfüllt haben. Nach Lukas findet man überall, wo das Evangelium verkündet wird, bußfertige Juden, die das wahre Israel ausmachen. Israel tritt nicht nur in Jerusalem, sondern auch in der Diaspora hervor (89f).

Der Schluss (28,23-31): einige glauben, andere bleiben ungläubig (V. 24). So schließt die Apostelgeschichte mit einer Schilderung des geteilten Volkes, das erst durch die christliche Botschaft gespalten wurde. Auf den ungläubigen Teil des Judentums wendet Paulus Jes 6,9f.26f als ein Verstockungsurteil an. Danach heißt es V. 28: „Kund sei euch nun, dass dieses Heil Gottes zu den Heiden gesandt wurde, sie werden hören“. Das Heil Gottes kommt nicht erst zu dieser Zeit zu den Heiden (als Folge der jüdischen Ablehnung). Es wurde ihnen schon früher, in der Vergangenheit geschenkt. Schon als die Missionare sich an Israel wandten, war die Stellung der Heiden in Gottes Heilsplan klar (90f).

Mit der Darstellung von dem Aufenthalt des Paulus in Rom hat die Mission unter den Juden einen Abschluss erreicht. Lukas führt seine Leser bis an die Schwelle der Heidenmission. Sein Hauptanliegen ist es zu erzählen, was sich vor dem Beginn der Weltmission ereignete: Die Schrift hat sich erfüllt, indem die Verheißungen des Gottesvolkes den Heiden gegeben wurden, so dass sie durch das bußfertige Israel zu den Heiden gelangten. Die Spaltung unter den Juden musste eintreten, damit die Verheißungen erfüllt werden konnten. Überall in der Welt, von Jerusalem bis Rom, wo Juden wohnten, wurde das Evangelium verkündigt und die Ausrottung der unbußfertigen Juden proklamiert. Eine Bekehrung des ganzen jüdischen Volkes in der Zukunft durch die Heiden so wie es Paulus Röm 9-11 darstellt, kommt für Lukas nicht in Frage. Für alle Zeiten ist der ungläubige Teil des Volkes verworfen und an denen, die sich bekehrt haben, haben sich die Verheißungen erfüllt. Sie sind der Grundstein des wahren Israels, in das die Heiden hineingezogen werden (91f).

e. In der Corneliuserzählung geht es um die Frage, auf welche Weise und zu welcher Zeit erhalten die Heiden Anteil an den Verheißungen Israels? In dem Bericht über das Apostelkonzil (15,1-35) dient das Corneliusereignis als Beweismittel (V. 6f). Als Ersatz für die jüdische Zugehörigkeit zum Volk Gottes, lässt Gott die über die Heiden gekommene Reinigung durch den Glauben gelten: „…nachdem er ihre Herzen gereinigt hatte durch den Glauben“ (V. 9). Somit ist das Neue nicht der Heiden Heil, sondern dass sie gerade als Heiden gerettet werden, also ohne Übernahme von Beschneidung und Gesetz und ohne erst Proselyten zu werden. Die Rede des Jakobus (13ff) mit dem Zitat aus Amos 9,11f setzt den Anschluss an Israel voraus, ohne die jüdische Form der Gesetzesbeobachtung und ohne jüdischen Status. Vorausgesetzt ist das Hinzukommen der Heiden durch die Wiederaufrichtung Israels. Deshalb muss Petrus die Heidenmission instituieren, nämlich in seiner Eigenschaft als Repräsentant Israels. Lukas will erzählen, dass die Idee der Heidenmission weder von Petrus noch von Paulus, sondern von Gott stammt (92f).

Das Neue im Verhältnis zu den früheren Kapiteln in der Apg ist, dass die Heiden qua Heiden, als Unbeschnittene zugelassen werden. Die Vision (10,9-16) eröffnete für Petrus, was das Gesetz verbietet, den Verkehr mit Heiden, weil Gott ihnen einen neuen Status gegeben und sie für rein erklärt hat (11,9; 10,15.28; 15,9). Gott hat den Heiden die Gabe des Heils geschenkt, den Geist (11,17; 10,44f). Die Hauptsache ist die, dass das Heil durch Israel zu den Völkern kommt und es ist so gekommen, dass die Heiden nicht der Beschneidung bedürfen, um gerecht zu werden. Eine göttliche Offenbarung zu diesem Zeitpunkt war notwendig, um den Gedanken zu vollziehen, die Heiden werden ohne Beschneidung gerettet und gehören trotzdem von nun an zu Israel. Somit bewahrt Lukas die Kontinuität der Heilsgeschichte und die Mittlerstellung Israels, behauptet die Erfüllung der Verheißungen an Israel, dem 'empirischen' Israel, und vermag dazu auch noch das Recht der Heiden auf das Heil ohne Beschneidung zu proklamieren. Daher zieht er folgende Schlusserwägung aus dem Corneliusgeschehen 11,18: „So hat Gott auch den Heiden die Buße zum Leben geschenkt“ als Heiden. Die Heiden sind nicht Israel, sondern werden Israel eingefügt, weshalb auch für die Juden die Beschneidung selbstverständlich bleibt (94f).

f. Zur Zeit Lukas gibt es keine Judenmission mehr, während sich die Kirche eifrig um die Heiden bemüht. Müsste die Kirche sich nicht vielmehr um die Juden kümmern? Die lukanische Lösung lautet: Die Apostel haben die Judenmission vollendet. Sie haben das bußfertige Israel versammelt und den Heiden Anteil an dem von dem bußfertigen Gottesvolk angenommenen Heil gegeben. Die Bekehrung der Heiden ist Erfüllung der Verheißungen Israels, womit sich die Judenmission der Apostel indirekt als Heidenmission ausweist. Nach Beendigung der Judenmission, begann die heilgeschichtlich bestimmte Zeit der Heidenmission, diese Zeit ist die Zeit des Lukas. Auf diese Weise vermag Lukas zu erklären, warum nun noch ein Israel besteht neben und ohne Verbindung mit der christlichen Kirche, dem die Kirche nicht verpflichtet ist. Denn dieses Israel sind die wegen ihrer Ablehnung des Evangeliums vom Gottesvolk ausgeschlossenen Juden, die kein Recht auf den Namen 'Israel' haben. Gleichzeitig vermag Lukas daran festzuhalten, dass Israel wirklich das jüdische Volk ist, nämlich die Bußfertigen, die Judenchristen, die den Kern der apostolischen Kirche bildeten. Diese Judenchristen waren das geschichtlich notwendige Übergangsglied zu einer überwiegend heidenchristlichen Kirche. Nur durch Israels Annahme des Evangeliums wird den Heiden Zutritt zum Heil gewährt (95f).