Christus - der erhöhte, lebendige, gegenwärtige Herr - Gottes Stellvertreter


I.

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APOKALYPTISCHES WELTBILD oder

CHRISTLICHE ESCHATOLOGIE?

II.
JESU WEG zum  VATER
III.Zum APOSTEL PAULUS
IV.Die ABLÖSUNG des Christentums vom Judentum
V.Das GOTTESVOLK des MESSIAS und

zum  JOHANNESEVANGELIUM
VI.Der ursprüngliche GLAUBE an den ERHÖHTEN  HERRN
VII.Der GOTT JESU braucht kein SÜHNOPFER   
VIII.WEDER  SÜHNETOD noch STELLVERTRETENDER TOD
IX.

SOLUS  CHRISTUS, "zur FREIHEIT  berufen"  (Gal 5.1.13), 

versöhnte VERSCHIEDENHEIT


Anhang

Literatur


 

Ich danke Frau Karla Jung und meiner Freundin Josephine Kay, dass sie meine Schreibmaschinentexte in Computerschrift umgesetzt haben

Hamburg, November 2022

Lilo Merzrath



I. APOKALYPTISCHES WELTBILD oder CHRISTLICHE ESCHATOLOGIE?


Das CHRISTUSEREIGNIS ist die einzige Grundlage unserer ZUKUNFTSERWARTUNG


A. Die endgeschichtliche Eschatologie ist unhaltbar geworden

B. Jenseitseschatologie – Individuelle Eschatologie

C. Die Unsterblichkeit der Seele


 

Eine Entmythologisierung ist unausweichlich 

Verschiedene Eschatologien im NT 

eine heilsgeschichtliche-endgeschichtliche Eschatologie bei Lukas 

eine präsentische Eschatologie bei Johannes 

eine Jenseitseschatologie im Hebräerbrief



 

H. Küng: Wie die biblische Protologie keine Reportage von Anfangs-Ereignissen sein kann, so die biblische Eschatologie keine Prognose von End-Ereignissen. Und wie die biblischen Erzählungen vom Schöpfungswerk Gottes der damaligen Umwelt entnommen wurden, so die von Gottes Endwerk der zeitgenössischen Apokalyptik. Die Bibel spricht auch hier keine naturwissenschaftliche Faktensprache, sondern eine Bildersprache. Sie offenbart keine bestimmten weltgeschichtlichen Ereignisse. Die apokalyptischen Bilder und Visionen vom Weltende würden missverstanden, wenn sie als Information über die ‚letzten Dinge’ am Ende der Weltgeschichte aufgefasst würden. Für die ‚Ur-Zeit’ wie für die ‚End-Zeit’ gibt es keine menschlichen Zeugen (217f).

Wiederkunft Jesu?

Die Vorstellung von der Wiederkunft Jesu ist abhängig von der Vorstellung der Auferstehung der Toten auf einer neuen/erneuerten Erde. Nach diesem Vorstellungsmodell muss Jesus wiederkommen, andernfalls wäre die Trennung von Christus ewig. Eine neue/erneuerte Erde ist mit unserem naturwissenschaftlichen Weltbild unvereinbar.


K. Rahner: Jesus kommt ‚wieder‘, wenn wir bei ihm ‚ankommen‘


E. Hirsch: Das Ende der Erdgeschichte: Dem Glauben an Gott ist es gewiss, dass wir durch den Tod dem Geheimnis Gottes entgegengehen. Dies aber ist ein Glaube, der sich für uns in jeder Hinsicht von den Vorstellungen über die Erdgeschichte und die Geschichte des Kosmos gelöst hat (392).

Das Menschengeschlecht wird ebenso vergehen, wie ehedem die Saurier vergangen sind. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es mit dem Menschen und der Menschengeschichte schon längst zu Ende gegangen, ehe die Erde aufgehört hat möglicher Träger organischen Lebens zu sein. Der Kosmos würde deshalb, weil die Menschheit ausstürbe, nicht ins Wanken und Wackeln geraten. Die Sache wäre etwa ebenso wichtig für ihn, wie die Zerstörung eines Ameisenhaufens für die Geschichte der Erde (394).

Unangefochten und ewig wahr bleibt dem Glauben die eine Aussage, dass der Tod für einen jeden von uns Gottesbegegnung ist. Alle Bilder und Gedanken der ntl Eschatologie sonst sind für uns Märchen und Mythos geworden. Das Ende unserer Welt ist für uns nicht mehr ein den ganzen Kosmos Betreffendes, sondern das unbestimmte 'Irgendwann einmal' eines zwerghaften kosmischen Teilereignisses (395).


Hellenistische Eschatologie: Postmortales Sein der Glaubenden in der jenseitigen Herrlichkeit unmittelbar nach dem Tod. Das eschatologische Heil wird abgelöst durch ein Heil, das sich durch den Tod hindurch verwirklicht. Der Tod tritt an die Stelle des Jüngsten Tages.

Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden“ (Mk 12,27parr)

Die Toten sind „wie die Engel im Himmel“ (Mk 12,25parr)


Die spätjüdische Apokalyptik ist der ntl Eschatologie vorgegeben und prägt ihre Denk- und Vorstellungsweisen. Sie kann nicht als Ausdruck des christlichen Glaubens verstanden werden.

In Christus ist die Verheißung ans Ende gekommen und erfüllt. Mit dem apokalyptischen Erbe wurde die mythologische Hypothek übernommen, dass Gott alsbald der Geschichte und dieser Welt in einem Gerichtsakt ein Ende bereiten werde. Das ist eine Vorstellung, die sich nicht festhalten lässt: Das spätjüdische und urchristliche apokalyptische Hoffnungsbild, kann so, wie es gemeint war, nicht aufrechterhalten werden. Für den christlichen Glauben ist die Hoffnung darin begründet, dass Gott uns hier in diesem Leben seine Gemeinschaft, Liebe und Gnade gewährt und dass wir hoffen dürfen, dass diese Gemeinschaft im Tod nicht ihr Ende findet. Gott lässt die Seinen auch im Tod nicht.

In dem Einswerden mit dem Willen Gottes ist die Gottesferne aufgehoben. Wir hoffen, dass die Gemeinschaft, die hier nur bruchstückhaft ist, sich im Tod vollendet. Der Glaubende hofft auf ein Reich, das unter der Macht Gottes und unter der Liebe Christi steht.


Paulus: Phil 1,23; 2Kor 5,1-8; Phil 2,6ff der Christushymnus – ohne Auferstehung Christi und ohne seine Parusie. Paulus hofft, mit dem Abscheiden bei Christus zu sein.


Der Hebräerbrief: Die entscheidenden eschatologischen Vorstellungen sind nicht die der Zeitlichkeit, sondern der transzendenten Räumlichkeit. Die Vorstellung von einem am himmlischen Heiligtum amtierenden Hohenpriester steht mit der des zum Gericht kommenden Menschensohnes in einem Spannungsverhältnis. Christus nimmt einen ständigen himmlischen Dienst wahr (8,1f). Das Ziel der Glaubenswanderschaft liegt oben, im Jenseits, in der himmlischen Heimat. 


Das JohEv (14,2f; 17,24): Das Gericht vollzieht sich in der Gegenwart angesichts des in der

Gemeindeverkündigung anwesenden Geist-Christus. Die gegenwärtige Geisterfahrung bringt die Nähe des Gottessohnes und bringt als ewige die Wiederkunftserwartung zum Verschwinden. Nach Johannes haben die Endereignisse ihre ausschließliche Bedeutung darin, dass sie außerhalb der Welt in der Herrlichkeit geschehen. Mit dem Tod der Jünger setzt sich die ewige Gemeinschaft mit dem Erhöhten jenseits von Raum und Zeit fort, wenn Jesus sie in die ewigen Wohnungen des Vaters holen wird. Ausfall der apokalyptischen Eschatologie: Ewiges Leben bedeutet für die Zukunft des Glaubenden, dort zu sein, wo der Erhöhte schon ist, nämlich im Haus des Vaters und seine Herrlichkeit zu schauen. Der physische Tod ist der Übergang aus dem irdischen Dasein in das himmlische, aus dem Glauben in das Schauen, dank der schon empfangenen Heilsgabe des ewigen Lebens. Die Parusie ist durch das Wiederkommen im Geist ersetzt. Die Hoffnung bezieht sich darauf, nach dem Tod zu Christus in die Herrlichkeit aufgenommen zu werden (17,24).



A. Die endgeschichtliche Eschatologie ist unhaltbar geworden

Eine neue/erneuerte Erde ist mit unserer naturwissenschaftlichen Erkenntnis unvereinbar

Das apokalyptische Gemälde der Auferweckung der Toten und der Entrückung bei der Parusie des Herrn muss entfallen
 

Abschied vom Weltbild der Apokalyptik
 

1. Die Problematik der eschatologischen Glaubensvorstellungen

2. Notwendige Neuinterpretation der Eschatologie

3. Die Befreiung vom Weltbild der Apokalyptik

4. Zur Frage der Wiederkunft Christi

5. Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte


1. Die Problematik der eschatologischen Glaubensvorstellungen

H.Groos

Die Erwartung des Weltendes im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gottesreichs ist das zentrale Thema der spätjüdischen Apokalyptik (182).


Mit apokalyptischem Gehalt wird die Eschatologie zum Problem, zu einem schweren Anstoß für das Denken unserer Zeit. Schon Harnack war dieser ganze dramatisch-eschatologische Apparat unsympatisch. Für uns sind diese phantastischen Erwartungen typische Produkte einer ganz bestimmten Weltanschauungsrichtung, eben der Apokalyptik (193f).


Entweder man erwartet jenseints des Todes, d.h. sofort nach dem Tod, das wirkliche und volle persönliche Heil – dann ist damit das Geschehen jenseits des Endes der Geschichte entwertet. Oder man erwartet die wirkliche Entscheidung und das Heil erst von dem Jüngsten Tag – dann ist der Tod als Hingang zu Christus als Entscheidung, als Entsündigung und Verwandlung entwertet (204).

Eschatologische Aussagen haben an das schon erfolgte Christusgeschehen im ganzen anzuknüpfen, das Hoffen muss in der Erfahrung des Glaubens wurzeln. Die biblischen Hoffnungsgedanken haben weitgehend mythologischen Charakter (210).


Die Eschatologie wird grundsätzlich nur noch christologisch konzentriert betrieben. Man ist sich einig in der Begründung der Zukunftserwartung allein auf die 'Christustatsache', das 'Christusereignis' zu setzen. Für die inhaltliche Gestaltung ist maßgebend allein das, was in der Person Jesu Christi beschlossen liegt. Als mythologisch sind alle Zukunftsvorstellungen der Apokalyptik anzusehen (211f).



Der am meisten störende Widerspruch besteht zwischen dem auf der Geschichte mit Gott beruhenden Fortleben des Menschen nach dem Tod und der Auferstehung am Jüngsten Tag. Deshalb soll hier der Zeitbegriff seine Zuständigekeit verlieren. Der Charakter der Zeit darf nicht verfremdet werden (213).


Die Parusie des Herrn? Nicht ein künftiges Drama führt die entscheidende Wende herauf. Sie hat sich in Jesus Christus vollzogen (214).


Die Vorstellung, dass der Christus am Ende der Tage sichtbar vom Himmel kommen wird, muss endgültig aufgegeben werden. Auch das Dass, nicht nur das Wie der Parusie gehört zum Gesamthorizont der Apokalyptik und ist sachlich unhaltbar. Die neuere Theologie findet immer klarer den alleinigen Grund der Zukunftserwartung in Jesus Christus (216).


Traub: Es geht nicht an, den Termin der Parusie um Jahrtausende hinauszurücken, sie selbst aber als äußeren Vorgang festzuhalten: nur viel später. Mit dem Termin fällt auch der Vorgang selbst (217f).


Zur Parusie gehört die Auferstehung der Toten. Der Gegensatz zwischen dem Sterblichen und dem Unsterblichen kann nicht radikal genug gefasst sein. Paulus hat die völlige Diskontinuität denkbar schneidend formuliert: „Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Unehre und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft. Es wird gesät ein natürlicher (psychischer) Leib und wird auferstehen ein geistlicher (pneumatischer) Leib“ (1Kor 15,44). In dem Satz: „gibt es einen psychischen Leib, so gibt es auch einen geistlichen“ steckt das eigentliche Problem. Dieser Begriff ist ein Unbegriff, weil er entgegengesetzte Merkmale miteinander verbindet. Was soll ein pneumatischer Leib' sein? Enthält der Begriff eines Körpers, der keine in Raum und Zeit mehr vorfindliche Größe ist, nicht einen Selbstwiderspruch, ähnlich dem Begriff eines hölzernen Eisens oder eines viereckigen Kreises? Wenn der pneumatische Leib nur als Symbol für das Bestehenbleiben der Identität gelten soll, so läuft das auf eine bloße Auswechslung von Begriffen hinaus (220).


Das zweite Problem, das mit der Auferstehung der Toten verbunden ist, ergibt sich auch hier im Hinblick auf die zeitliche Dimension. Wenn der Glaubende schon in diesem Leben in Christus ist, wie kann er dann noch wieder dem Tod verfallen und ihm bis zum Jüngsten Tag verfallen sein? In dem Auseinanderfallen der Zeitpunkte, in dem Widerspruch zwischen der Aussage des Paulus vom Abscheiden und bei Christus sein und der Auferstehung als Wirkung der Parusie des Herrn liegt die größte Schwierigkeit. Dieser befremdliche Übergang zu einer ganz andersartigen, nicht auseinandergezogenen Zeit tritt neben die Einführung des Begriffs eines pneumatischen Leibes. Es ist keine Lösung des Problems, sondern die Formulierung seiner Unlösbarkeit. Gestützt auf diese beiden in sich selbst widerspruchsvollen Konstruktionen meint man, unter Freigabe der Vorstellung des Wie der Auferstehung der Toten am Dass um so bestimmter festhaltern zu können (220f).


In Wahrheit lässt sich in der symbolischen Auffassung und der Unterscheidung zwischen dem Wie und dem Dass auch in diesem Punkt kaum etwas anderes als eine Scheinlösung erblicken. Wie die Parusie Jesu, so sind auch die Auferstehung der Toten und der durch sie bzw. in ihr entstehende pneumatische Leib, der so ganz anders als der gestorbene natürliche Leib ist und doch die Identität mit ihm bewahren soll, Annahmen von einem geradezu abenteuerlich unrealistischen Charakter. Hier liegen Aussagen vor, die sachlich durch nichts, aber auch durch gar nichts gerechtfertigt sind. Mag die Entstehung eines pneumatischen Leibes in der Auferstehung für den Gläubigen des Urchristentums noch glaubhaft gewesen sein, ein denkender Mensch unserer Zeit kann eine so hochgradig unvorstellbare und zugleich wiederum so ganz und gar nicht begründete Annahme nur als unerlaubt beurteilen, weil für sie schlechthin nichts und alles dagegen spricht (221).


Die Annahme eines Endgerichts nach den Werken steht in logisch unvereinbarem Gegensatz zur Rechtfertigung aus dem Glauben. Die beiden Aussagen passen nicht zueinander. Die christliche Glaubensposition gerät in diesem Punkt in Widerspruch mit sich selbst. Dieser sachliche Widerspruch wirkt sich widerum auch in einem zeitlichen Spannungsverhältnis aus, das bei Paulus in dem Nebeneinander von Gegenwarts- und Zukunftsaussagen über das Rechfertigunggeschehen zum Ausdruck kommt (222f).


Man hat versucht, sich von all den Ungereimtheiten und horrenden Unwahrscheinlichkeiten der üblichen Eschatologie zu befreien und dabei den wesentlichen Kern der Ewigkeitshoffnung zu bewahren, indem die Konsequenz aus der Präponderanz der individuellen vor der universalen Hoffnung gezogen wird. In seiner Jenseitseschatologie nach welcher Gott den Menschen gleich im Tode richtet, rettet und mit dem himmlischen Leben beschenkt, gibt H.Graß diese Eschatologie der universalen Hoffnung als apokalyptisch und mythologisch völlig preis (231).


 

Ausbruchsversuche aus den üblichen Denkformen

Einführung eines neuen Zeitbegriffs: Erlaubt das Vorkommen mehrere Erlebnisformen der Zeit, die uns aus der Erfahrung bekannt sind, zur Annahme einer völlig unbekannten anderen Art von Zeitlichkeit überzugehen, deren Merkmale man sich nach Bedarf zurechtlegt? Die Eschatologen brauchen eine Zeit, die kein Kontinuum mit unserer auseinandergezogenen Zeit darstellt. Erstaunlich ist die intellektuelle Kühnheit einerseits, die Selbstverständlichkeit andererseits, mit der die Theologen dieses Spiel mit einer andersartigen Zeitform betreiben (232f).


 

Alles Wirkliche ist innerhalb der Zeit und damit vergänglich. Die Vergänglichkeit ist das 

Grundmerkmal des zeitlichen Seins, der Zeit überhaupt. Wird das ihr genommen, so ist die Zeit nicht mehr Zeit. Hat man es bei den Versuchen, sich darüber hinwegzusetzen mit einer Fehlspekulation, jedenfalls einem schweren Denkfehler zu tun oder mit einem raffinierten Kunstgriff, einem Trick, letztlich einem Täuschungsmanöver? Es handelt sich um eine zutiefst unstatthafte Manipulation mit dem Zeitbegriff, die zu einem unmöglichen Ergebnis führt. Die postulierte andersartige Zeitform hängt ganz und gar in der Luft und kann nicht die Grundlage für weitere, ohnehin fragwürdige Annahmen abgeben. Eine nicht auseinandergezogene Zeit ist ein Widerspruch in sich (233).


Dass alles Sein über kurz oder lang veraltet und vergeht, muss als ein Grundzug alles Wirklichen gelten. Und dieses ist zeitlicher Art, hat aber deshalb die Zeit schuld an der Vergänglichkeit? Der Versuch, der Zeit eine negative Qualität beizulegen, muss als völlig abwegig beurteilt werden. Noch deutlicher tritt das Irrige dieser Sicht bei dem Zusammenhang von Pflichtenkollision und

Zeitlichkeit zu Tage. Dass man nicht zweierlei zugleich tun kann, ist ganz und gar in der Sachlage, d.h. in der Situation eines endlichen Wesens begründet und liegt nicht an der Zeit als solcher. Soweit die Zeit hieran beteiligt ist, handelt es sich um eine bare Selbstverständlichkeit, die keinesfalls zu irgendwelchen Konsequenzen hinsichtlich ihrer Beschaffenheit führen kann. Im 

Fortgang, im Weiterfließen besteht gerade das Wesen der Zeit (234f).


Anstatt der Wirklichkeit, wie wir sie im Rahmen der Zeit unzweifelhaft vorfinden, Priorität zuzubilligen und allenfalls Erwägungen über die Möglichkeit eines darüberhinausgehenden Seinszustandes anzustellen, wird die uns bekannte und bestimmende Wirklichkeit diskreditiert im Interesse einer hypothetischen höheren zukünftigen Welt. So kann man mit der Zeit nicht umspringen! Die Forderung ihrer Aufhebung muss nach allem als unberechtigt, als unbegründet bezeichnet werden und vor allem darf man sie nicht um Gottes willen verwerfen wollen. Die wirkliche, uns gegenwärtige zeitliche Welt als aufhebbar hinzustellen, um eine geglaubte, erhoffte vollendete, göttliche als zukünftig eintretend dafür einzuhandeln, das ist ein Salto mortale, welchem sich der, dem sein Leben und Denken lieb ist, verweigern muss (236f).


Liegt die Wahrheit in der Degradierung der wirklichen Welt, um eine erwartete andere, höhere Welt glaubhaft zu machen, oder in der Absetzung des ganzen apokalyptischen 

Vorstellungsbereichs durch die uneingeschränkte Anerkennung seiner mythischen 

Beschaffenheit? Die Beurteilung der Eschatologie als mythisch ist unabweisbar und hinterläßt keinen erkenntnismäßig unbefriedigenden Rest. Die Annahme dagegen, die eschatologische Glaubenssphäre biete zumindest einige wesentliche haltbare Elemente, führt in die größten Schwierigkeiten und zu wahrhaft halsbrecherischen intellektuellen Wagnissen. Deshalb sieht ein vor allem der Wirklichkeit und dem Maßstab der Wahrscheinlichkeit verpflichtetes Denken sich genötigt, das Moment der Zukunft aufzugeben. Die charakteristische Spannung zwischen Gegenwart und Zukunft geht damit verloren, die Eschatologie entfällt, sie ist durch und durch unglaubwürdig geworden. Die Erwartung, dass irgendetwas von den ausgesagten letzten Geschehnissen wirklich eintreten werde, dass vor allem der Herr Jesus in Herrlichkeit erscheinen, über die auferstandenen Toten Gericht halten und die mit ihm Verbundenen ins Ewige Leben eingehen lassen wird, erscheint einfach nicht mehr erlaubt. Die apokalyptische Zukunftshoffnung ist, soweit wir denkend zu urteilen haben, nicht mehr statthaft, in keiner Hinsicht. Die vom Christentum übernommenen, zwar auch abgewandelten, aber bis heute mitgeschleppten spätjüdischen Zukunfts- und Enderwartungen sind völlig passé, weil sie ganz ins antike Weltbild eingelassen und zugleich ins jüdische Geschichtsprogramm eingebaut sind (243).


Selbst für den Fall, dass sich nach Überwindung äußerst bedenklicher Krisen immer wieder Auswege finden sollten, ändert das nichts daran, dass unsere Erde infolge ihres Verhältnisses zur Sonne in ferner Zukunft unbewohnbar werden wird. Anstatt eines neuen Himmels und einer neuen Erde zu harren, haben wir an eine Erde zu denken, die einmal wieder so sein wird, wie sie einst gewesen ist: wüst und leer. Die Dauer der Zeit bis dahin bleibt ungewiss; zu diesem Ende selbst gibt es keine Alternative (245).

 


 

2. Notwendige Neuinterpretation der Eschatologie

M.Kehl

Unter 'Reich Gottes' bzw. 'Königsherrschaft Gottes' verstehen wir jenes in Christus endgültig erfüllte und ihm zugleich noch verheißene Geschehen, in dem Gottes Gerechtigkeits- und Friedenswille sich in unserer Geschichte (von Israel bzw. dem erneuerten Volk Gottes, der Kirche, ausgehend) auf heilende und befreiende Weise Raum schafft (221).


Das Reich Gottes findet in der Person Jesu, in seiner Verkündigung, in seinen Zeichenhandlungen und in seinem Geschick (in Tod und Auferstehung) die grundlegende innergeschichtliche Gestalt, die die erhoffte Vollendung des Reichs Gottes vorwegnimmt. Jesus Christus ist das Realsymbol der Liebe Gottes, ihres Gerechtigkeits- und Friedenswillens. Er begründet die Vergegenwärtigung des Reichs Gottes auch im Leben und Tun all derer, die ihm in der Kraft seines Geistes nachfolgen (221f).


Universalität des Heils: Die ganze Wirklichkeit individueller und sozialer menschlicher Geschichte wird in dem Maß, wie sie sich vom Geist der Liebe Gottes durchformen lässt, zum Herrschaftsraum des Friedens- und Gerechtigkeitswillens Gottes (230).


Im Durchgang durch den Tod: Erst durch den Tod hindurch, kann eine Vollendung individueller und sozialer Lebensgeschichte erhofft werden. Wenn wir dies bejahen, nehmen wir Abschied von der apokalyptischen Vorstellung, dass Gott einmal unmittelbar zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt in diese Geschichte 'eingreifen', sie in einem großen Weltuntergang beenden und dann eine ganz neue Welt schaffen wird, auf der auch eine neue 'Geschichte' der Menschen beginnt. Die Schwierigkeiten mit solchen Vorstellungen rühren daher, dass wir das apokalyptische Weltbild nicht mehr teilen können (232f).


G.Lohfink: Die Theologie hatte im 19.Jh. begriffen, dass sich die Welt Gottes nicht in dreidimensionalen Räumen über unserer Welt aufschichtet, sie nahm aber gleichzeitig noch immer an, dass das Ende der Welt und der Geschichte auf der irdischen Zeitlinie stattfände, dass es am Ende in unserer Welt ein göttliches spectaculum, nämlich Weltuntergang mit Parusie geben werde. Man kann nicht die Raumvorstellungen der Apokalyptik verabschieden und gleichzeitig an ihrer Zeitvorstellung und an ihrem Geschichtsbild festhalten. Die so dringend notwendige 

Neuinterpretation der Eschatologie kann nur dann gelingen, wenn nicht mehr von dem Zeit- und Geschichtsbild der Apokalyptik ausgegangen wird (233).


M. Kehl: Gott als der verborgen anwesende Grund aller Wirklichkeit kann niemals ein direktes und unmittelbares Objekt unserer sinnlich-geistigen Erkenntnis werden. Der Gott, der sich gerade in Tod und Auferstehung Jesu als endgültig befreiende Liebe offenbart hat, wird auch in aller Zukunft den Tod nicht einfach aus der Welt herausnehmen und so geschichtliches Leben 'unsterblich' machen, sei es am Ende 'dieser' oder innerhalb einer (von der Apokalyptik erwarteten) 'neu geschaffenen' Geschichte. Indem durch Jesus auch unser Tod und all seine Vorformen, wie Krankheit, Schmerz, Leid und Einsamkeit usw., zum möglichen Erscheinungsort der heilenden Liebe Gottes geworden sind, kann eine wirkliche 'Vollendung' der Geschichte im Reich Gottes nur durch den persönlichen Tod der einzelnen Menschen hindurch geschehen. Einzig die Bewegung auf eine absolut geschichtstranszendente Vollendung der Geschichte hin bewahrt jeder Geschichte ihren relativen und damit humanen sie nicht vergötzenden Charakter (234f).


Im Gegensatz zur Apokalyptik ist für uns die Schöpfung durch Jesus Christus eine grundsätzlich geheilte Schöpfung. Sie ist nicht mehr Ort einer reinen Sündengeschichte, die nur durch eine totale Vernichtung und Neuschöpfung hindurch gerettet werden könnte. Im auferstandenen Christus und in den an seiner Auferstehung Teilhabenden ist diese Schöpfung bereits in das vollendete Leben Gottes eingegangen. Eine universale Vollendung wird von uns deswegen gerade für diese Schöpfung erhofft, in die der Geist des Auferstandenen als Angeld und Keim der neuen Schöpfung hineingelegt ist. Sie soll im ganzen an der Vollendung Christi teilhaben, und nicht eine völlig neue Schöpfung sein, die mit der alten nichts mehr gemein hat (235).


Das 'Aufgehobensein' der Geschichte in der Auferstehung der Toten: Die Vollendung des Reichs Gottes erhoffen wir (im Unterschied zur Apokalyptik) als das endgültige Aufgehobensein dieser menschlichen Geschichte (in ihrer individuellen, sozialen und universalen Dimension) im Leben Gottes. (1) Alles, was in unserer Geschichte für das Reich Gottes bedeutsam ist, alles, was von uns in vertrauender Hoffnung und in tätiger Liebe ertragen und getan wird, bleibt 'erhalten' (aufheben = bewahren). Es behält (als Teilhabe am auferstandenen Leben des Gekreuzigten!) Geltung über den Tod hinaus, sowohl für die vollendete Gestalt des Reichs Gottes selbst, als auch für den betreffenden Menschen selbst (als dem 'substantiellen' Träger solchen Tuns): Es macht seine bleibende Identität bei Gott aus. Außerdem geht es ein in die unzerstörbare Basis, auf der weiter an der Gestaltwerdung des Reichs Gottes unter uns gebaut werden kann (235f).


(2) Alles, was nicht integrierbar ist, also das Sündige, Sich-Gott-Verschließende in unserer Geschichte, wird 'hinweggenommen' in die richtend-vergebende Liebe Gottes hinein (aufheben = außerkraftsetzen). Im Leben der Auferstehung bestimmt es nur noch als 'vergebene' Schuld unsere Identität. Sie ist so in die den Sünder bejahende Liebe Gottes hineingeborgen, dass wir in der Kraft dieses Angenommenseins unsere Schuld ganz 'aufarbeiten', sie als Moment unserer glückenden, aus der Vergebung lebenden Identität annehmen können.


  1. Die von Gott aufgenommene menschliche Geschichte bekommt eine endgültig gelungene

Gestalt, die dem Wechsel von Raum und Zeit enthoben und von aller damit gegebenen schmerzlichen Gebrochenheit befreit ist (aufheben = emporheben). Die geschaffene Wirklichkeit findet erst da ganz zu sich selbst, wo sie endgültig zu Gott, dem Schöpfer und Vollender hingefunden hat. Dies bedeutet die erfüllende Teilhabe unseres gelebten Lebens und seiner Welt an der Weite und Schönheit der unendlich lebendigen Liebe Gottes (236f).


Gemeinschaft der Heiligen: Das 'Reich Gottes' wird immer nur getragen von einem entsprechenden 'Volk'Gottes, dessen gemeinschaftliches Zusammenleben immer stärker von der Liebe Gottes geprägt werden soll. In der 'neuen Schöpfung' erhoffen wir die Vollendung dieses Reichs Gottes und seines Trägers, des Volkes Gottes. Als 'Erster der Entschlafenen' legte Jesus den Grundstein für dieses vollendete Reich Gottes. Das Verhältnis von realsymbolischer Vergegenwärtigung und communioGestalt des Reichs Gottes gilt auch für seine Vollendung: Die Vollendung der Einzelnen und ihrer Lebensgeschichte geschieht immer nur als Vollendung einer 'kommunikativen Einheit' aller Realsymbole des Reichs Gottes. Der Einzelne wird nur vollendet in der Teilhabe an der vorgegebenen Vollendung der 'communio sanctorum', am Auferstehungsleben der vollendeten Gemeinschaft derer, die das Leben und Sterben Jesu um des Reichs Gottes willen geteilt haben. Diese vollendete Gemeinschaft entsteht immer nur durch den Tod und durch die Vollendung der Einzelnen hindurch, grundlegend in Jesus Christus und den wahrhaft 'Heiligen'. In diese vollendete Gestalt des 'Leibes Christi' werden wir hineingenommen und bauen sie zugleich durch unsere 'Lebensfrucht' mit auf. Vermittelt durch die soziale Gestalt der communio sanctorum wächst die ganze Schöpfung in ihre Vollendung hinein (237f).



Wiederkunft des Herrn: 'Jesus kehrt wieder, insofern alle bei ihm ankommen'

Menschliches Leben ist ein ständiges Wandern auf die unverborgene Begegnung mit Jesus Christus hin. Immer dann, wenn ein Mensch stirbt, hoffen wir, dass er bei Christus angekommen ist, dass er endgültig in einer befreienden und beglückenden Gemeinschaft mit ihm und dem Vater aufgehoben ist. Zu diesem Menschen ist Christus dann bereits unverborgen 'wiedergekommen'. Wenn einmal alle Menschen ihren Tod gestorben und bei Christus angekommen sind, ist er zu allen wiedergekommen; dann ist der 'Jüngste Tag' erreicht. 'Wiederkunft Jesu' bedeutet nicht ein großes Welttheater mit planetarischem Szenario irgendwann in weiter Ferne. Es ist ein Geschehen, das sich 'mitten unter uns' ereignet (Lk 17,21) und im menschlichen Sterben vollendet. Jesus hat für dieses An-Kommen einen klaren Maßstab gesetzt: „Kommt zu mir, die ihr von meinem Vater gesegnet seid und nehmt das Reich Gottes in Besitz..., denn was ihr einem meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,34.40). Nur der, bei dem Jesus in diesem Leben bereits ankommen kann, in der verborgenen Gestalt eines Hungernden und Durstigen, eines Kranken und Heimatlosen, eines Armen und Verspotteten, nur der wird einmal bei Jesus in seiner unverborgenen Gestalt ankommen können. Tun wir alles, um den verborgenen Christus 'mitten unter uns' zu entdecken! Dann erfüllen wir die dringliche Mahnung Jesu, in Wachsamkeit und Aufmerksamkeit das Kommen des Menschensohnes zu erwarten (Lk 21,36; Mt 24,44; 25,13) (245f).


Empirisches 'Ende' und theologische 'Vollendung' der Welt: Empirisch gesehen lässt sich ein Ende der menschlich-irdischen Lebenswelt mit großer Sicherheit voraussehen (uns interessiert nur das Ende unserer Erde und ihrer Lebensbedingungen). Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik nimmt die 'Unordnung' im Kosmos zu. Über das Wann und Wie eines empirischen Endes unserer Erde kann die Theologie keine Aussage machen; das fällt nicht in ihre Kompetenz. Für den theologischen Begriff der Vollendung ist es nicht gleichgültig, wie das empirische Ende der Erde aussieht, denn der Mensch trägt vom Schöpfungsauftrag Gottes her Verantwortung für diese Erde. Es ist uns Menschen aufgetragen, unsere Freiheit so einzusetzen, dass diese Erde die humanisierte, in ihre Vollendung bewahrend aufzuhebende 'Materie' des Reichs Gottes sein kann (247f).


Jeder Mensch bringt seine eigene, unverwechselbare Geschichte mit. Das jeweilige Anders- und

Einzigartigsein dieser beim Menschen 'angekommenen' Liebe Gottes ist für die Vollendungsgestalt des Reichs Gottes von entscheidender Bedeutung, zeigt sich doch darin einerseits der unausschöpfliche Reichtum der sich mitteilenden Liebe Gottes und andererseits auch der unbedingte Wert jeder menschlichen Person innerhalb der Geschichte dieser Liebe Gottes. Erst wo diese qualitativ bedeutsame Vielfalt auch universal vollendet ist, kann man von einer endgültigen Vollendung des Reichs Gottes sprechen. Das dürfte der theologische Sinn der Rede vom 'Jüngsten Tag' sein: Er braucht dann nicht als ein kosmischer Weltuntergang oder eine universal-geschichtliche Katastrophe vorgestellt zu werden, sondern als das Zu-Ende-Kommens des universalen Vollendungsprozesses, in dem alle (dazu bereiten) Menschen in das Leben der Auferstehung hineinsterben. Dieser Prozess ereignet sich fortwährend innerhalb unserer Geschichte im Tod jedes Menschen. Er findet sein innergeschichtliches Ende, wenn alle Menschen gestorben sind (249).


 

Vollendung meint zugleich den Prozess des ständigen, im irdischen Leben beginnenden und sich im Tod vollendenden Hineingenommenwerdens in das unausschöpflich bewegte Leben Gottes wie auch das Ergebnis dieses Prozesses, das unangefochtene Angelangtsein bei Gott (251).


3. Die Befreiung vom Weltbild der Apokalyptik

G. Lohfink:

  1. Der Jüngste Tag ist der individuelle Todestag: Die Zukunft der Erde ist ein rein naturwissenschaftliches Thema. 

Das Weltbild der Apokalyptik floss in die christliche Eschtalogie ein und bildete jahrhundertelang den undiskutierten Hintergrund der Lehre von den letzten Dingen. Erst im letzten Jahrhundert begann die Scheidung zwischen apokalyptischem Weltbild und christlicher Eschatologie. Seitdem gleicht die Eschatologie einer Großbaustelle. Die so dringend notwendige

Neuinterpretation der Eschatologie kann nur dann gelingen, wenn dabei nicht mehr von dem Zeit- und Geschichtsschema der Apokalyptik ausgegangen wird. Das heißt: Es geht nicht an, das Kommen Gottes lediglich an einem postulierten Endpunkt unseres Geschichtsverlaufs anzusetzen. Gott ist jedem Punkt irdischer Geschichte gleich nah. Und wenn Gott kommt, dann kommt er gleichzeitig an jeden Punkt menschlicher Geschichte. Genauso ereignet sich die Vollendung der Geschichte, nicht an einem hypothetischen Endpunkt der irdischen Zeitlinie, sondern an jedem Punkt menschlicher Geschichte (60f).


Wenn Gott selbst kommt und seine Herrschaft aufrichtet, dann erscheint er nicht in unserem Raum und in unserer Zeit. Eine solche Aussage ist Mythologie. Unverhüllte Begegnung mit Gott setzt immer den Tod voraus. Parusie kann es nicht in dem Sinne geben, dass Gott bzw. Christus einer am Ende noch lebenden letzten Generation erscheinen wird, wie dies in 1Thess 4,15 vorausgesetzt ist. Parusie gibt es nur in dem Sinne, dass derjenige, der durch den Tod hindurchgegangen ist, vor Gott erscheint, bzw. dass Gott vor ihm erscheint. Das Kommen Gottes ist beim Tod aller Menschen anzusetzen, gleichgültig, an welchem Punkt der Geschichte sie gelebt haben oder noch leben werden (61f).

Das Todesdatum ist für jeden ein verschiedenes; denn der Todestag gehört zu dieser Welt. Die Todesdaten der einzelnen Menschen können Jahrtausende weit auseinander liegen. Ihre Auferstehung von den Toten geschieht dennoch ‘gleichzeitig’, denn in der Ewigkeit gibt es keine zeitlichen Intervalle mehr. Mit Hilfe der Polarität von Zeit und Ewigkeit gelingt es, das Ende der Geschichte im Tod des je einzelnen anzusetzen und so den Tod an die Stelle des Jüngsten Tages treten zu lassen (62f).


Die universale Geschichte und ihre Vollendung: Der Mensch, der im Tod vor Gott erscheint, ist kein welt- und geschichtsloses Abstraktum, sondern konkrete, individuell geprägte Person. In jedem Menschen ist ein Stück der Geschichte der Welt Fleisch geworden. Der Mensch, der sein Leben vor Gott hinträgt, ist von der Welt und der Geschichte geprägt, und er hat selbst die Welt und die Geschichte geprägt. Jeder Mensch trägt ein Stück Welt und ein Stück Geschichte vor Gott hin, und mit jedem Menschen, der stirbt, versammelt sich immer mehr Welt und immer mehr Geschichte vor Gott (70f).


 

Das ständige Hineingezeitigtwerden des unendlichen Geflechts der Gesamtgeschichte in die

Vollendung geschieht nicht mehr in unserem Früher und Später, nicht mehr verteilt über Jahrtausende, sondern in einem analogen, für uns nicht mehr vorstellbaren ‘Gleichzeitig’. Für den einzelnen Mensch bedeutet das, dass er im Tod nicht nur sein eigenes Ende erfährt, sondern zugleich das Ende der Welt und der gesamten Geschichte. Indem ein Mensch stirbt und dadurch die Zeit hinter sich läßt, gelangt er an einen ‘Punkt’, an dem die gesamte übrige Geschichte ‘gleichzeitig’ mit ihm an ihr Ende kommt, mag sie auch ‘inzwischen’ in der Dimension irdischer Zeit noch unendlich weite Wegstrecken zurückgelegt haben (72).


Das Handeln Gottes ist nur dann universal, wenn es die gesamte Geschichte der Welt erfasst, wenn es alle Menschen und Völker, die leben und gelebt haben, erreicht. Und das Handeln Gottes ist nur dann endgültig, wenn alle Geschichte der Welt vor dem dabei offenbar werdenden Gott an ihr Ende kommt. Die offene Begegnung mit Gott schließt ein Weiterlaufen der Geschichte radikal aus. Das Kommen der Herrschaft Gottes ist ein absolut universales Geschehen, das alle Geschichte erfasst, und es ist ein absolut endgültiges Geschehen, das alle Geschichte an ihr Ende bringt. In dem ‘Augenblick’, in dem alle Geschichte vor Gott erscheint und Gott vor ihr erscheint, macht Gott seine ewige Herrschaft der ganzen Welt offenbar und richtet in diesem ‘Augenblick’ seine Herrschaft endgültig auf (76).


Wie die Universalität und die Endgültigkeit, so gehört auch die Nähe der Gottesherrschaft integral zur eschatologischen Botschaft Jesu: Gott handelt jetzt. Wenn wir die Eschata (‘die letzten Dinge’) im Tode selbst ansetzen, dann sind uns die Eschata unendlich nahe gekommen. Jeder Mensch lebt dann in der ‘letzten Zeit’, denn er wird schon in seinem Tod am Ende aller Zeit und damit am Ende aller Geschichte ankommen. Jeder wird in seinem Tod nicht nur sein eigenes Gericht und seine Auferstehung, sondern das Gericht über die Welt und die Auferstehung aller Toten und damit das endgültige Kommen der Herrschaft Gottes erfahren. Gott kommt ‘ständig’ im Sterben der unzählig vielen Menschen richtend und verwandelnd auf die Geschichte als ganze zu und holt sie dabei zu sich ein. Die gelebte Gegenwart erhält erst im Tod ihre letzte Endgültigkeit, aber der Tod wird dann auch enthüllen, wie sehr jeder Augenblick unserer Gegenwart schon immer in das Ende hineinstand (77f).


Auferweckung Jesu heißt: Gott hat bereits gehandelt. Er hat seine Herrschaft bereits aufgerichtet. Er hat in dem Menschen Jesus die allgemeine Totenauferweckung bereits begonnen. In dem auferweckten Jesus hat die neue Schöpfung bereits ihren Anfang genommen. Das endzeitliche Handeln Gottes ist schon geschehen; es ist jetzt absolute Realität und bleibende Gegenwart. Die Zukunft kann nur noch enthüllen, was Gott schon getan hat und was er schon ständig tut. In dem Realmodell christlicher Eschatologie, das Jesus selber ist, folgt auf den Tod unmittelbar die Auferweckung von den Toten. Im Tode Jesu wird die neue Schöpfung und das eschatologische Handeln Gottes angesetzt. Das, was an Jesus geschah, wird an uns allen geschehen: Gott wird uns aus dem Tod unmittelbar in die Vollendung aller Geschichte befreien. Wir dürfen das unmittelbar bevorstehende Eingreifen Gottes erwarten (79-81).


 

U. Körtner

(2) Christlicher Glaube und apokalyptische Welterfahrung: Die Aufhebung der Apokalyptik: Ist der Tod Jesu als Einbruch des Heils zu verstehen, dann ist die Geschichte nicht länger ein in sich geschlossenes Unheilskontinuum, sondern neben aller Erfahrung von Heillosigkeit der Ort einer Heilserfahrung. Indem der christliche Glaube in erinnernder Weise von der Wirklichkeit des Heils sprechen kann, anstatt das Heil ausschließlich als Möglichkeit antizipieren zu können, ist das apokalyptische Denken an entscheidender Stelle durchbrochen. Christlicher Glaube bestreitet nicht die Unheilserfahrung der Apokalyptik, sondern besteht gerade darin, die Spannung zwischen dem Bekenntnis zum Geschick Jesu als Heilsgeschehen und der apokalyptischen Welterfahrung auszuhalten. Der Glaube erinnert das Geschick Jesu als heilschaffenden Eingriff Gottes. Inmitten der äußersten Ohnmacht und Gottesferne bricht sich die lebenschaffende Macht Gottes Bahn und durchbricht die Ausweglosigkeit einer Welt, die sich selbst überlassen dem Untergang preisgegeben ist. Inmitten der Katastrophalität der Wirklichkeit gibt es die Erfahrung einer Gegenwelt der Liebe, der Gerechtigkeit und des Lebens. Jesu eigentliches Geheimnis ist dies, dass er offen ist, wo alles um ihn Offenheit verbaut. Die Offenheit, die das Leben Jesu bestimmt, resultiert aus dem Einbruch von Zukunft in eine Welt der Ausweglosigkeit und Geschlossenheit. Es ist der von Jesus bezeugte nahe Gott, der solche Zukunft gewährt (368f).


In der Erinnerung des Geschicks Jesu als Heilsgeschehen macht der Glaube seinerseits die Erfahrung der Nähe Gottes. Auf diese Weise erfährt er je neu inmitten der Katastrophalität der Wirklichkeit, dass ihm Zukunft gewährt wird. Die eigene Erfahrung der Nähe Gottes ist ihm Grund zur Hoffnung auf eine Gegenwelt der Liebe, der Gerechtigkeit und des Lebens (370).

Das Kreuz ist Gottes Gericht über eine Welt der Gottesferne, die auf ihren Untergang zusteuert. Es ist damit Inbegriff einer gänzlichen Weltverneinung. Indem das Geschick Jesu aber der Einbruch Gottes in diese Welt ist, ist das Kreuz zugleich Ausdruck dessen, dass Gott die Welt bejaht. Durch das Leiden und die Liebe Gottes, die Jesus verkörpert, wird die apokalyptische Fixierung der Welt durchbrochen. Der Glaube kann die Welt trotz ihrer Verlorenheit und Katastrophalität bejahen, weil eben diese Welt des Unheils in Gestalt des Kreuzes zum Ort des Heils geworden ist. So konnte das Christentum im Laufe seiner historischen Entwicklung zur Weltbejahung finden, weil diese in der Botschaft vom Kreuz selbst bereits angelegt war (376f).


 

Glaube als Mut zum fraglichen Sein: Der Glaube hofft nicht auf das Weltende als Vernichtung der vorfindlichen Welt, sondern hofft auf den je neuen Einbruch des in Jesus von Nazareth erschienenen Gottes (383).

Der Glaube ist Mut zum fraglichen Sein. Fraglich ist unser Sein weil es vom Nichtsein bedroht und wie dasjenige der Welt durch das denkbare Ende in Frage gestellt ist. Zu den Erfahrungen des Absurden gehört, dass der Menschheit der Untergang droht, der jeglichen Sinn zerstören würde. Auch das Geschick Jesu als Heilsereignis bedeutet keine Überlebensgarantie für Mensch und Natur. Deshalb sieht sich der Glaubende ebenso wie der nicht Glaubende vor das drohende Ende gestellt. Die Struktur des Universums weist daraufhin, dass die Lebensbedingungen auf der Erde zeitlich begrenzt sind und die menschlichen Lebensbedingungen erst recht (384f).


Der Glaube starrt nicht auf das Weltende, noch gibt er sich der apokalyptischen Lust am Untergang hin, sondern bejaht das von Gott bejahte Leben und die von Gott bejahte Welt durch seinen tätigen Einsatz für beide. Es ist das Leiden an den Unheilszusammenhängen der Welt, deren Geschlossenheit im Geschick Jesu prinzipiell durchbrochen zu sein scheint und dennoch immer wieder übermächtig erfahren wird und den Glauben anficht (Kö 391f).


H.Graß (1988)

4. Zur Frage der Wiederkunft Christi

Im Urchristentum hat die Erwartung der alsbaldigen Wiederkunft Christi eine bedeutende Rolle gespielt (1Kor 16,22; Apok 22,20 Maranatha). Wenn Jesus in den Evangelien der Menschensohn genannt wird, dann ist damit gesagt, dass man ihn mit dem eschatologischen Menschensohn identifizierte, dessen baldiges Kommen man erwartete. In 1Thess 4,13ff hofft Paulus, die Parusie des Herrn noch zu erleben und mit den Brüdern, die noch nicht entschlafen sind, dem vom Himmel kommenden Herrn entgegen gerückt zu werden, freilich nicht unverwandelt (1Kor 15,51f) (56).


Die Christologie und Soteriologie des Urchristentums sind nicht einseitig auf den Kommenden gerichtet gewesen, sondern haben sich frühzeitig dem Gekommenen und dem Gegenwärtigen zugewandt. Mag der Ursprung dieser Christologie in der Erfahrung liegen, Gott hat den hingerichteten Jesus von Nazareth nicht im Tod gelassen, sondern sich zu ihm bekannt, also in dem 'er lebt', so entfaltet sich aus diesem 'er lebt' nicht nur der Erhöhungsglaube, sondern auch der Glaube an seine lebendige Gegenwart, wie auch in diesem Glauben die Erinnerung an sein Erdenleben lebendig blieb. Und dann wandte man sich dem 'Leben Jesu' zu, verfasste Evangelien. Der Kyriosglaube der hellenistischen Gemeinden und bei Paulus ist vor allem auf die Verherrlichung des im Geist gegenwärtigen Herrn gerichtet. Man hat vom Kyrioskult gesprochen. Der Hebr verbindet im Hohenpriestertum Christi den Opfergedanken mit dem Erhöhungsgedanken und fügt der am Kreuz orientierten Soteriologie den Gedanken der Intercessio des Erhöhten, des himmlischen Hohenpriesters, hinzu (56).


Der urchristliche Glaube war in erster Linie Glaube an Erfüllung, an das, was mit dem Kommen Christi, in seinem Kreuzestod, aber auch in seinen Worten und seinem Wirken bereits geschehen ist und was in seiner Gegenwart im Geist in seiner Gemeinde, also durch den Kyrios, bereits geschieht. Schon frühzeitig taucht in den Briefen der Inkarnationsgedanke auf und gibt dem Gekommensein sein besonderes Gewicht. Bei Johannes beherrscht das Gekommensein Christi das Evangelium, während der Gedanke an die Wiederkunft verschwunden ist (abgesehen von Hinzufügungen einer späteren Redaktion). An ihre Stelle ist der Hingang Jesu zum Vater und das Wohnungmachen für die Seinen getreten, die er zu sich nehmen will (Joh 12,32; 14,2f; 16,16; 17,24). Im Christushymnus (Phil 2,5ff) mündet der Weg Christi, ohne Erwähnung der Auferweckung, in der Erhöhung und der Anbetung des Erhöhten durch die ganze Schöpfung, ohne die Wiederkunft zu erwähnen. In Phil 1,23 bekundet Paulus das Verlangen, abzuscheiden und bei Christus zu sein, ohne die Hoffnung auszusprechen, die Parusie Christi noch zu erleben (aber 3,20f). Im Hebr ist der Heimgang in die himmlische Stadt (nicht die Wiederkunft) das eigentliche eschatologische Anliegen (13,14) (57).


Wenn man im Urchristentum die Erfüllung bereits im Gekommenen sah, die Soteria bereits in dem, was er vollbracht hatte und was er gegenwärtig vollbringt als der erhöhte Kyrios, dann musste das notwendig zur Gewichtsverlagerung in der Frömmigkeit führen. Die Soteria ist alsbald vor allem an den Gekommenen und Gegenwärtigen gebunden. Man erfährt sie gegenwärtig im Heiligen Geist. Man vergegenwärtigt sich die Soteria im Inkarnationsgeschehen, aber auch in Jesu irdischem Wirken, seinen Worten und Taten, man sieht sie in der Intercessio des himmlischen Hohenpriesters. Es hat eine Enteschatologisierung stattgefunden. Es hat auch mit dem Ausbleiben der Parusie eine Veränderung der eschatologischen Vorstellungen stattgefunden bis dahin, dass der Hingang Christi zum Vater und die Heimholung der Seinen das eschatologische Bedürfnis befriedigt oder man das eschatologische Enddrama in eine ferne Zukunft verschiebt. Diese Verschiebungen in der Eschatologie und Soteriologie haben bewirkt, dass die urchristliche Gemeinde zu einer Gemeinde der soteriologischen Erfüllung geworden ist. Der Glaube an den Gekommenen und Gegenwärtigen, der Lobpreis und Dank für die bereits geschenkte Gnade, die aus dem Glauben an die geschehene Liebe Gottes erwachsende eigene Verpflichtung zur Liebe hat den Vorrang bekommen vor der Hoffnung, vor dem 'noch nicht' (57f).


Christus kommt in jedem wahrhaftigen Akt des Glaubens zu uns und in jedem wahrhaftigen Akt der Liebe. Dein Reich komme“: Wie geschieht das, dass es auch zu uns komme? Luther: 'Wenn der himmlische Vater uns seinen Heiligen Geist gibt, dass wir seinem heiligen Wort durch seine Gnade glauben und fromm leben, hier zeitlich und dort ewiglich'. Auch in der 3. Bitte ist bei dem Reich an das gegenwärtige Reich, das jetzt zu uns kommen will, gedacht. In der 7. Bitte: Erlöse uns von dem Übel“, ist nicht die Rede von der Enderlösung im Jüngsten Gericht, sondern dass er uns 'zuletzt, wenn unser Stündlein kommt, ein seliges Ende beschere und mit Gnaden von diesem Jammertal zu sich nehme in den Himmel'. Luther kann den eschatologischen Ausblick als seliges Ende und Aufnahme in den Himmel verstehen , ohne der Wiederkunft Christi am Ende der Tage und als Ende der Tage zu gedenken. 'Lieber Vater, wir bitten, gib uns erstlich dein Wort, dass das Evangelium rechtschaffen durch die Welt gepredigt werde, in uns wirke und lebe, dass also Dein Reich unter uns gehe durch das Wort und die Kraft des Heiligen Geistes..., dass wir ewig leben in voller Gerechtigkeit und Seligkeit' (60f).


Wiederkunft Christi als Ende der Geschichte? Der Parusieglaube war im NT nicht allbeherrschend. Bei Lukas ist die Wiederkunft Christi ans Ende der Tage, nach Ablauf einer längeren Heilsgeschichte, gerückt. Für das Joh-Ev und den Hebr gilt: Nicht Christus kommt wieder, sondern die Gläubigen kehren heim in seine himmlische Herrlichkeit. Die Vorstellung von der Wiederkunft Christi alsbald oder am Ende der Tage ist an ein Weltbild gebunden, das nicht mehr das unsere ist. Sie kann in dieser Form nicht aufrecht erhalten werden. Der Glaube muss heute Evolutionen von Millionen von Jahren mit Gottes Schöpfertätigkeit zusammendenken (61f).


Christus hört nicht auf, beim Vater zu sein, auch wenn die Menschheitsgeschichte aufgehört hat. Es ist uns Menschen nicht verwehrt, mit ihm beim Vater zu sein. Hier ist anzuknüpfen an die Nebenlinie in der Eschatologie des NTs, bei Johannes und im Hebräerbrief, die Heimkehr in das himmlische Reich verheißt. Auch in der Glaubensgeschichte der Kirche hat dieser Gedanke des Heimgangs in das himmlische Reich eine große Rolle gespielt, dieser Gedanke ist hier zur Hauptlinie geworden. Die Vorstellung einer himmlischen Gemeinde der Vollendeten und Seligen ist leichter nachzuvollziehen als die einer allgemeinen Totenauferweckung am Ende der Tage. Statt eines Ausharrens der Toten in den Gräbern, aus denen sie am Jüngsten Tag erweckt werden, werden die Verstorbenen unmittelbar zu Christus heimgeführt. Der Gedanke des Endgerichts mit Christus als dem Weltenrichter ist dann zu ersetzen durch den Gedanken eines individuellen Gerichts, dem jeder im Tod entgegensieht. Einer Glaubensweise, die wie die evangelische das 'Allein aus Gnaden' vertritt, liegt es nahe, das Gericht nicht nach den Werken, sondern nach Gottes großer Barmherzigkeit geschehen zu lassen. Der Glaube verlässt sich auf Gottes unverdiente Gnade (63f). Lassen wir uns genügen an der Hoffnung auf eine Heimstätte in Gottes und Christi überirdischem Reich (65).


W. Kreck: Die biblische Ausdrucksweise, nach der die Heilsgeschichte von einem zeitlichen Anfang des Menschengeschlechts herkommt und auf ein endzeitliches Ziel hin fortschreitet, ist keine angemessene Vorstellung. Denn die Geschichte mit Gott, wo es um Hingabe und Selbstbehauptung, um Schuld und Vergebung, um Tod und Leben, um Lüge und Wahrheit geht, ist allgegenwärtig und wird von jedem durchlebt. So wie Urstand und Fall nicht als geschichtliche Ereignisse am Anfang der Menschheit gedacht werden können, sondern Ausdruck lebendiger Gewissenserfahrung und darum überzeitliche und allgegenwärtige Tatbestände sind, so auch das Ende. Die Weltgeschichte tendiert nicht auf zeitliche Vollendung, sondern will sich in jedem Geschlecht vollenden. Die Parusie ist eine universale, gemeinsame und ‘gleichzeitige’ Erfahrung aller, obwohl wir nacheinander als einzelne sterben. “Alle Senkrechten, die wir auf der Zeitlinie errichten um auf die Ewigkeit, die Parusie, die Vollendung zu stoßen, treffen sich im Überzeitlichen in einem Punkt. Was sich uns in ein Nacheinander menschlicher Tode, des Endes von Geschlechtern, Völkern, Zeiträumen zerlegt, das ist, von dort aus gesehen, der gleiche Akt und das eine, ‘gleichzeitige’ Erlebnis der Aufhebung der Geschichte, des Eintritts der Geschichte in die Ewigkeit”. Von Parusie kann man nicht mehr als einer sinnlichen Erscheinung für die sichtbare Welt reden (40-42).


Die Offenbarung Christi in Herrlichkeit am Ende der Geschichte käme nur der letzten Generation zugute, nicht aber allen vorherigen. Der Jüngste Tag ist kein geschichtlicher Tag! Das Wesen und der Gehalt der Parusie - überführende Offenbarung der Herrlichkeit Christi - machen sie als geschichtliches Ereignis unmöglich. Nirgends kann die Geschichte der Ort einer unmittelbaren, überführenden Gegenwart des Göttlichen sein, nirgends Stätte des Schauens der doxa. Das gilt auch von der letzten Epoche der Geschichte.


E. Haenchen: Der Schlusssatz Mt 28,20: "Und siehe ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der 

Welt", zeigt, dass von einer Naherwartung des Endes keine Rede mehr ist: praktisch ist die

Eschatologie ausgeschieden. Jesus ist stets gegenwärtig und damit ist, wenn auch in anderer Form, das gegenwärtig geworden, was man zuvor als Ergebnis eines eschatologischen Dramas erhofft hatte. Jesus braucht nicht mehr zu kommen, weil er schon da ist (550)!


 

E. Grässer

5. Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte

Wo ist die Verheißung seiner Wiederkunft? Seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so wie von Anfang der Schöpfung an“ (2Ptr 3,4).

Die Naherwartung Jesu: Durch die Zeichen, die Jesus wirkt, ist die Wahrheit seiner Ankündigung, ist die Nähe des Reichs verbürgt. Aus den Gegenwartsaussagen geht die Nähe als potenzierte

Naherwartung hervor. Das 'Schon' des ankommenden Gottesreichs ist nur dann als eschatologischer Vollzug zu verstehen, wenn die Basileia alsbald als endgültiger Heilszustand immerwährendes Präsenz sein wird. Durch das in Jesus anhebende Kommen der Gottesherrschaft ist Jesu Zukunftserwartung Naherwartung (XVIf).


 

Nimmt man den proklamativen Charakter der Basileia-Ansage hinzu, der sich aus der Nähe der

Ereignisse ergibt, sowie das keine Zwischenräume mehr zulassende Motiv der Plötzlichkeit der

Gerichtspredigt Jesu (Lk 17,24.27.29; 21,35), so ist der Schluss unvermeidlich, dass Jesus sich die Nähe massiv zeitlich vorgestellt hat. Jesus erhofft nicht die Nähe der Gottesherrschaft, sondern er ist sich ihrer Nähe so absolut gewiss, dass er sie proklamiert. Nur weil das Gastmahl (Lk 14,15ff) schon bereit ist, ergeht die Einladung so dringlich und wirkt sie sich so fatal aus für diejenigen, die sie ausschlagen. Angespannte eschatologische Wachsamkeit über mehrere Generationen hin zu fordern, ist in sich widersinnig. Bei Jesus, wo das Motiv der Plötzlichkeit seinen ursprünglichen Sitz hatte, stand eine Naherwartung im Hintergrund, die das Ende noch innerhalb der jetzt lebenden Generation erwartete (XVIII).


Die Urchristenheit lebte nicht erst seit Ostern, sondern vorher schon in einem Judentum, das bis zur Zerstörung des Tempels im Jahr 70 von einer ständig sich intensivierenden Naherwartung bestimmt war. Nichts spricht dafür, dass sie diese allgemeine Erwartung erst ab 'Ostern' geteilt haben sollte (XXI).


Die Zwölf bilden in der Q-Gemeinde nicht die Grundlage der Kirchengemeinde, sondern mit Jesus sind sie die zwölf eschatologischen Richter der schon anbrechenden Endzeit ( Mt 19,28 = Lk 22,28-30). Die Ostererfahrung ist die Sicherheit der nahen Parusie, Bestätigung der kommenden Gottesherrschaft, Inhalt der Verkündigung Jesu (XXI).


Grundaussage des Osterereignisses war die himmlische Rechtfertigung dessen, der mit seiner 

Botschaft identisch war, einer Botschaft, die in ihrem Zentrum eschatologische Ansage der Basileia war. Damit wurde nicht nur das Begründetsein der Reichspredigt Jesu von Gott her unterstrichen, sondern auch das Gesandtsein der Jünger mit derselben Reichspredigt, die Jesus verkündigt hatte. Die Gemeinde lebte weiter im Stand der Hoffnung, alsbald das Kommen des Reichs zu erleben. Diese ersten nachösterlichen Gemeindekreise standen noch in direkter Kontinuität zur Verkündigung Jesu und seiner unmittelbaren Naherwartung. Der Bringer der Herrschaft Gottes war jetzt selber in sie eingesetzt. Eine Transformation der neu entfachten Erwartung des Reichs Gottes ging damit Hand in Hand in dreifacher Hinsicht: a) als Aufwertung des Verkündigers der Gottesherrschaft (präsentische Eschatologie), b) als Inthronisation des Menschensohnes, c) als ein Ende, das jetzt ganz im Zeichen des Menschensohnes Jesus steht. Die Wiederholung der Botschaft Jesu nach Ostern bedeutet ihre Interpretation und Variation gemäß der neuen Glaubenserfahrung und –situation, im Sinne der Vertiefung, nicht aber der tiefgreifenden Umbildung oder Aufhebung (XXII).


Jesu Verkündigung war eine eschatologische, d.h. sie hat ihr Charakteristikum in der Erwartung des nahen Endes. Sie hat keine Entwicklung durchlaufen, weder von gesteigerter Naherwartung zu abgeklärter Fernerwartung, noch umgekehrt. Die Verkündigung des nahen Endes beherrscht Jesu Botschaft von ihrem Anfang an bis zu ihrem Ende (74f)!


Die fortschreitende Problematik der Parusieverzögerung: Die Ungewissheit bedingt die Wachsamkeitsforderung! So wie die Dinge in der synoptischen Tradition dargestellt werden, scheint jedes einzelne Motiv (Ungewissheit, Wachsamkeit, der Verzug des Herrn) durch die vorausgesetzte Parusieverzögerung mitbestimmt und gestaltet! Nur ein Motiv ist unverändert geblieben: das Trotzdem der eschatologischen Erwartung im Sinne der futurisch-endzeitlichen Vollendung (127).


Die Apologie der urchristlichen Naherwartung: Das Trostwort Mk 13,30 (=Mt 24,34 = Lk 21,32): Auch wenn sich das Ende noch verzögert, so wird es (noch in dieser Generation) doch kommen: „Wahrlich, ich sage euch: Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dieses alles geschehen sein wird! Der Spruch redet von dem eschatologischen Ende, das bald, noch zu Lebzeiten dieser Generation (das sind die Zeitgenossen Jesu) eintreten wird. Der Termin des Endes wird auf einen nahen Zeitpunkt festgelegt: noch in diesem Geschlecht (128f)!


Dieser Satz ist durch den tatsächlichen Geschichtsverlauf in seiner Wahrheit diskreditiert. Die Zeitgenossen Jesu sind gestorben und das Ende kam nicht. Mk 9,1 (= Mt 16,28 = Lk 9,27): „Wahrlich, ich sage euch: Unter denen, die hier stehen, sind einige, die den Tod nicht schmecken werden, bis sie gesehen haben, dass das Reich Gottes mit Macht gekommen ist“ (130f).


Bei der Apologie der urchristlichen Naherwartung handelt es sich um den Versuch einer Bewältigung des Problems der Parusie-Verzögerung, um der neuen Situation gerecht zu werden und ihr einen Platz im Ablauf der Heilsereignisse zuzuweisen. Konnte man sich anfangs noch mit dem bloßen Trost begnügen, der trotz des Verzugs die Parusie dennoch für das Ende „dieser Generation“ verhieß (Mk 9,1), so wurde im Zuge der fortlaufenden Entwicklung doch bald eine begründete Auskunft hinsichtlich der Verzögerung unumgänglich. Diese begründete Auskunft bildet der bewusste Aufschub des Termins durch Vorschaltung von allerlei Zwischenstufen vor das eigentliche Ende. Dadurch wird die Zeit gedehnt und das Ziel der eschatologischen Entwicklung hinausgeschoben (Mk 13parr; Lk 17,22ff). Religionsgeschichtlich bedeutet das: das Bewusstsein der unmittelbaren Naherwartung schlägt um in apokalyptische Hoffnung! Das Ende kommt nicht anders denn nach Ablauf der verschiedenen Vorperioden: der Zeit der Bedrängnisse und Wehen (Mk 13,5ff), der Zeit der Heidenmission (Mk 13,10) und schließlich der Zeit der Erhöhung (Mk 14,62parr). Das alles entspricht göttlicher Notwendigkeit (de-i): darin liegt die Begründung der Auskunft (177f).


Jesus hatte mit seiner Predigt vom nahen Ende die eschatologischen Erwartungen seiner Anhänger aufs äußerste gesteigert. In dem Augenblick, in dem die Erfüllung dieser Erwartungen nach Jesu Tod mehr und mehr verzog, musste der Gemeinde daraus ein drückendes Problem erwachsen, das um so beunruhigender war, als Jesu Predigt in erster Linie und mit ungeheurer Intensität mit dem nahen Weltende konfrontiert hatte. Die Ereignisse von Ostern und Pfingsten mögen die eschatologisch-apokalyptischen Erwartungen noch gesteigert haben. In dieser eschatologischen Hochstimmung lebte die älteste Gemeinde eine Weile fort. Das Ende aber blieb aus! Dann meldete sich die aus solcher fehlgeschlagenen Erwartung erwachsende Problematik zu Wort, erst zögernd, dann immer deutlicher. Unsere drei ältesten Evangelien stehen in der Fragestellung von 2Ptr 3,4 bereits mitten darin. In der Redaktion der Evangelisten hat das Problem der Parusieverzögerung seinen festen Sitz. Am deutlichsten bei Lukas (216).


Er ist sich der Problematik bewusst und bietet einen geplanten Neuentwurf, in dem die Weissagungen up to date gebracht werden (Lk 21), die Umstellung von der Naherwartung auf Dauer vollzogen wird (Eigenständigkeit der Ethik), die Zwischenzeit in den gegliederten Entwurf der Heilsgeschichte einbezogen wird (Zeit der fortschreitenden Missionierung der Welt) und die in weiter Ferne liegende Parusie den ihr zukommenden Platz am äußersten Ende der Tage erhält (Apg). Lukas bietet einen Entwurf, der mit der Zeit nicht wieder revisionsbedürftig wird (216f).


Die Parusieverzögerung als Problem gibt es in der synoptischen Tradition seit der ältesten traditionsbildenden Gemeinde. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es bald nach Ostern und Pfingsten in der ältesten Gemeinde eine akute Krise der Naherwartung gegeben hat. Damals musste man geglaubt haben, dass die Totenauferstehung und die Parusie unmittelbar folgen würden. Diese Erwartung wurde enttäuscht. Schon das Abreißen der bloß mündlichen Überlieferung steht im Zusammenhang mit der Parusieverzögerung. Von dem Augenblick an, in dem man zur schriftlichen Fixierung der Tradition überging, ist auch die Parusieverzögerung als Problem da. Sie hat auf dieser ältesten Stufe der Traditionsbildung nur schwache Spuren hinterlassen und wird uns sicher greifbar erst in der Redaktion der uns überkommenen synoptischen Evangelien (219f).


B. Jenseitseschatologie – Individuelle Eschatologie


Unsterblichkeit des inneren Menschen, seiner Geistes-Seele


1. Unser Sieg über den Tod: Auferstehung?

2. Die Zukunftserwartung des vierten Evangeliums (Jh 14,2f;17,24)

Anhang: Entapokalyptisierte individuelle Eschatologie – das johanneische Zeugnis

3. Wandlungen im paulinischen Denken in Bezug auf die Eschatologie

4. Eine neue Form der Hoffnung (Phil 1,23ff)

5. Was dürfen wir hoffen angesichts des Todes und angesichts der geschichtlichen Wirklichkeit?

6. Unsere Hoffnung ist allein Christus

7. Hellenistische Eschatologie

8. Hoffnung auf die jenseitige Welt in Gesangbuchliedern


M.-E. Boismard

1. Unser Sieg über den Tod: Auferstehung?

(1) Paulus: Der zweite Korintherbrief (Kp. 3 und 5) – realisierte Eschatologie

(2) Jesus: Die synoptische Tradition

(3) Die johanneische Tradition (präsentische Eschatologie)


 

(1) Paulus: Der zweite Korintherbrief (Kp. 3 und 5) - realisierte Eschatologie

Eine präsentische Eschatologie: Der Herr ist der Geist... (der Geist macht lebendig 3,6) ...wir alle werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur anderen von dem Herrn, der der Geist ist“ (2Kor 3,17f). Jetzt (nicht erst bei Jesu Wiederkunft 1Kor 15) werden wir verwandelt: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden" (5,17). Seit Christus, das Leben-gebende Pneuma in uns ist, sind wir bereits auferstanden (86).

In 1Kor 15 hatte Paulus das Schema der frühen semitischen Anthropologie, das zwischen Seele und Leib nicht unterscheidet, übernommen. Diese Anthropologie kann Paulus nicht fortsetzen. Denn wenn wir bereits jetzt Christus, das Leben-gebende Pneuma, in uns haben, das Prinzip unserer Auferstehung, dann kann die Auferstehung nur unsere Seele betreffen, weil unser Leib in der Erde zerfällt. Wenn unser Leib eines Tages zerfällt, ist es für uns wichtig, eine Seele zu haben, die nicht stirbt, weil sie Christus 'angezogen' hat (87).


 

Eine platonische Anthropologie: So sind wir denn allezeit getrost und wissen: solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern vom Herrn; denn wir wandeln im Glauben, nicht im Schauen. Wir sind aber getrost und haben vielmehr Lust, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn“ (2Kor 5,6-8). Paulus übernimmt hier eine Unterscheidung zwischen Seele und Leib: Wir leben in unserem Leib gleichsam im Exil, fern vom Herrn. Wir bevorzugen, den Leib zu verlassen, um zu Christus zu gehen und bei ihm zu sein. Unser Leib ist für eine begrenzte Zeit unser 'Zuhause', das wir nach dem Tod verlassen, ohne unsere Individualität zu verlieren, weil wir bei Christus sind. Paulus postuliert ein Prinzip des psychischen Lebens in uns, das nicht der Leib ist und das vom Leib getrennt wird. Menschen gehen zu Christus, um mit ihm zu leben (88f).

Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn. Wenn ich aber weiterleben soll im Fleisch (im Leib), so dient mir das dazu, mehr Frucht zu schaffen; und so weiß ich nicht, was ich wählen soll. Denn es setzt mir beides hart zu: ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre, aber im Fleisch zu bleiben ist nötiger um euretwillen" (Phil 1,21-24).

Das Problem des Leibes: Paulus hat ein Thema platonischer Philosophie übernommen: Die Seele stirbt nicht, sondern geht zu Christus und lebt mit ihm. Was geschieht mit dem Leib? Paulus modifiziert platonische Spiritualität mit semitischem Realismus. Die Seele findet einen Leib, der auf sie im Himmel wartet: „Denn wir wissen, wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel“ (2Kor 5,1). Ein neuer Leib erwartet uns im Himmel, ein Haus, in dem wir leben werden, sobald wir unseren irdischen Leib verlassen. Die Pharisäer sagen, dass alle Seelen unsterblich sind. Aber nur die Seelen der Gerechten gehen in einen neuen Leib ein. Die schlechten Menschen erwartet ewige Strafe. Nach Ansicht der Pharisäer finden die Seelen der Gerechten einen neuen Leib auf der Erde, nach Paulus einen neuen Leib im Himmel. Nach ihm wie nach Ansicht der Pharisäer, wechselt die Seele von einem Leib in einen anderen (91f).


Angst vor dem Tod: Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden, weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden. Denn solange wir in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert, weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollen, damit das Sterbliche verschlungen werde vom Leben" (2Kor 5,24). Paulus hofft, dass Jesus zu seinen Lebzeiten wiederkommt, weil er dann nicht sterben muss, weil er dann bekleidet und nicht nackt ist. D.h. Paulus fürchtet den Tod, obwohl der Tod ihm erlaubt, zu Christus zu gehen und mit Christus zu leben, denn es ist schmerzhaft, wenn die Seele vom Leib getrennt wird. Wenn Paulus zu jener Zeit noch am Leben ist, dann will er seinen unsterblichen Leib über seinen sterblichen Leib ziehen. Dann würde sein sterblicher Leib umgehend in einen unsterblichen (Leib verwandelt werden (94f). Wie in 1Kor15 werden diejenigen, die bei Jesu Wiederkunft noch am Leben sind, verwandelt werden. In Bezug auf die bereits Verstorbenen dagegen hat sich Paulus Position gegenüber 1Kor 15 radikal gewandelt (95).


(2) Jesus: Die synoptische Tradition: Jesus vertrat wie die Pharisäer die griechische Auffassung vom Menschen als aus Leib und Seele zusammengesetzt. Er nahm an, dass im Tod nur der Leib in der Erde sich auflöst, während die Seele weiterlebt und allein ihre eschatologische Bestimmung empfängt (100).


Der Leib und die Seele Mt 10,28: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.“ Das Leben verlieren, um es zu erhalten LK 17,33: „Wer sein Leben zu erhalten sucht, der wird es verlieren; und wer es verlieren wird, der wird es gewinnen“. Aufgrund der paradoxen Formulierung kann dieses Wort nur im Rahmen griechischer Anthropologie verstanden werden, die im Menschen zwei Komponenten unterscheidet: den Leib und die Seele. Diejenigen, die den Tod um Jesu willen akzeptieren, erhalten ihr Leben; sie sterben in ihrem Leib, aber ihre Seel bleibt am Leben. Aber jene, die sich retten wollen, indem sie Christus verleugnen, werden ihr Leben verlieren in dem Sinn, dass Gott sie (mit Leib und Seele) in die Hölle schicken wird. Was die Gerechten angeht, ihr Schicksal wird mit dem Begriff 'Unsterblichkeit' definiert (104f).
 

Zum Leben eingehen Mk 9,43: „Wenn dich deine Hand zum Abfall verführt, so haue sie ab! Es ist besser für dich, dass du verkrüppelt zum Leben eingehst, als dass du zwei Hände hast und fährst in die Hölle, in das Feuer, das nie verlöscht“. Dieses Wort muss in der Perspektive von Unsterblichkeit verstanden werden, denn man geht in den Himmel bzw. in die Hölle, sobald man gestorben ist. Der Leib stirbt, aber die Seele geht in das ewige Leben ein (105f).

Lukanische Tradition 23,42f: Jesus verspricht dem reumütigen Sünder keine Auferstehung, sondern dass seine Seele dem Kreuz entkommt und im Paradies leben wird. “Heute“ zwischen dem Tod am Kreuz und dem Eintritt ins Paradies ist kein Zwischenraum. Dass der reumütige Sünder nach dem Tod seines Leibes weiterleben kann, ist in seiner Seele begründet, der Teil von ihm, der sich der Unsterblichkeit erfreuen kann (106).


In der Parabel von Lazarus und dem reichen Mann 16,19ff, sehen wir, dass, sobald Lazarus stirbt, er von Engeln in Abrahams Schoß getragen wird. Auch er lebt nach seinem leiblichen Tod weiter (der Hades ist nur für Sünder reserviert) (106).
 

Die Patriarchen Lk 13, 26: „Dann werdet ihr anfangen zu sagen: Wir haben vor dir gegessen und getrunken, und auf unsern Straßen hast du gelehrt. 27) Und er wird zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her? Weicht alle von mir, ihr Übeltäter! 28) Da wird Heulen und Zähneklappern sein, wenn ihr sehen werdet Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes, euch aber hinausgestoßen. 29) Dann werden Menschen kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes". Sobald sie gestorben waren, traten die Patriarchen und alle Propheten in das Königreich ein und genießen seitdem Gottes Gegenwart (107).

Die Wiederkunft Jesu: „Dann werden sie sehen den Menschensohn kommen in den Wolken mit großer Kraft und Herrlichkeit. Dann wird er die Engel senden und wird seine Auserwählten sammeln von den vier Winden, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels“ (Mk 13,26f). Jesus setzt keine Auferstehung der Toten voraus, noch eine Auferstehung des Leibes zur Zeit seiner Wiederkunft. Jesus berücksichtigt nur das Schicksal derjenigen, die bei seiner Wiederkunft leben (107f). In all diesen Worten sieht Jesus unseren Sieg über den Tod im Sinn von Unsterblichkeit (109).


Die Diskussion mit den Sadduzäern Mk 12


(24)„Da sprach Jesus zu ihnen: Ist’s nicht so, ihr irrt, weil ihr die Schrift nicht kennt?“

Spätere Einfügung (weder... noch die Kraft Gottes

25) Wenn sie von den Toten auferstehen, so werden sie weder heiraten noch sich... wie die Engel im Himmel.

26a) Aber von den Toten, dass sie auferstehen)


 

26b) „Habt ihr nicht gelesen im Buch des Mose, beim Dornbusch, wie Gott zu ihm sagte: Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs?

27) Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden, ihr irrt sehr.“

Wie die Pharisäer glaubte Jesus an die Unsterblichkeit der Seele. Nach ihm sind Abraham, Isaak und Jakob nicht in der Scheol als Schatten ohne Leben, sondern ihre Seelen genießen die Seligkeit bei Gott. 4 Makk: die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob empfangen die Seelen der Märtyrer bei Gott (111).


Jesus spricht von unserem Sieg über den Tod in Worten der Unsterblichkeit: Abraham, Isaak und Jakob leben jetzt bei Gott, deshalb sind sie nicht tot. Dank Gott erfreuen sie sich einer gesegneten Unsterblichkeit (112).



(3) Die johanneische Tradition (präsentische Eschatologie): Jesus blies seine Jünger an und sagte: „empfangt den Heiligen Geist" (20,22)! (Gen 2,7: Gott blies ihm (Adam) den Atem des Lebens in seine Nase. So ward der Mensch ein lebendiges Wesen). Der Atem (Geist), der von Jesus kommt, ist „Leben-gebender Atem" (to pneuma zoopoiei 6,63). Nach seiner Auferstehung gab Jesus seinen Jüngern diesen Atem, der sie mit einem neuen Leben ausstattete, das Unsterblichkeit beinhaltet. Seine Jünger empfangen dieses neue Leben, während sie noch auf der Erde leben, nicht in einer hypothetischen Zukunft (113f).


 

Diejenigen, die Jesu Worte hören und dem glauben, der ihn gesandt hat, „haben das ewige Leben und kommen nicht in das Gericht, sondern sie sind (bereits) vom Tod zum Leben hindurchgedrungen" (5,24). („Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben gekommen sind, denn wir lieben die Brüder" Joh 3,14). Diejenigen, die Jesu Wort halten, „werden den Tod nicht sehen“, „werden den Tod nicht schmecken“ (8,51.52). Jesus sagt Maria: „Jeder, der lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben“ (11,26). Das Prinzip, das vom Tod nicht betroffen ist, kann nur die Seele sein, wie griechische Philosophie sie versteht (114).

Das Judentum unterscheidet zwischen dieser Welt, in der wir leben und der zukünftigen Welt. In Joh 8,23 sagt Jesus den Juden: „Ihr seid von unten her, ich bin von oben her; ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt“. Dieser Welt ist die Welt von oben jetzt gegenübergesetzt. Die zukünftige Welt besteht bereits jetzt „oben“, d.h. im Himmel. Der zukünftige Äon ist bereits in Gott vorhanden. Alle diese Worte könne nur im Sinn von Unsterblichkeit verstanden werden (116f).

Spätere Ergänzungen im Sinne von Auferstehung: Der Refrain: „Ich werde sie auferwecken am Jüngsten Tag" (6, 39.40.44.54). In 3, 8-21 ist das Gericht bereits gekommen, in 12, 48b dagegen wird es am Jüngsten Tag stattfinden. In 5,24f sagt Jesus, dass diejenigen, die sein Wort hören, nicht in das Gericht kommen, sondern bereits vom Tod zum Leben hindurchgedrungen sind und deshalb bereits auferstanden sind. Dagegen sagt Jesus in 5,28f: „...alle, die in den Gräbern sind, werden seine Stimme hören und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die Böses getan haben zur Auferstehung des Gerichts“ (vgl. Daniel 12,2) (117).


Unsterblichkeit im frühen Johannesevangelium: Das Thema Auferstehung ist sekundär: Der Dialog zwischen Jesus und Martha Joh 11,21-25a: Jesus bestätigt, dass Lazarus auferstehen wird. Martha sagt: „Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tag“. Jesus korrigiert diesen Irrtum, indem er sagt, dass er selbst die Auferstehung und das Leben ist, d.h. wer an ihn glaubt, der ist bereits auferstanden (5,24) und wird nicht sterben (8, 51). Wir haben hier eine Korrektur der Auferstehung am Jüngsten Tag (118).


Zusammenfassung: Sowohl in der synoptischen Tradition als auch im Johannesevangelium führen die Worte Jesu zu demselben Ergebnis: Nach Jesus muss unser Sieg über den Tod im Sinn von 

Unsterblichkeit gedacht werden (nicht von Auferstehung). Dies setzt voraus, dass Jesus wie die Pharisäer sich der griechischen Unterscheidung zwischen Leib und Seele anschloss. Am Lebensende zerfällt der Leib in der Erde, während die Seele in das Leben, in das Reich Gottes eintritt. Die Unsterblichkeit der Seele ist ein Geschenk Gottes. Wenn Jesus seine Wiederkunft ankündigt, hat er nicht die Vorstellung, dass dieses Ereignis von einer Auferstehung begleitet wird (119f).



Was versteht Paulus unter einem pneumatischen Leib (1Kor 15,35-55)?

W. Marxsen (1968)

In Korinth gibt es Leute, die die Auferstehung der Toten leugnen. Der Leib zerfällt in der Erde. In welchem Leibe soll der Mensch auferstehen? Paulus antwortet: in einem pneumatischen Leibe (73).


Hier stoßen zwei grundverschiedene Anthropologien aufeinander. Wenn wir Leib sagen, verstehen wir darunter den Körper. Der Körper zerfällt in der Erde. Paulus versteht unter soma jedoch nicht den Körper, sondern er drückt mit diesem Begriff die Identität der Person vor und nach dem Tode aus. Die Auferstandenen sind dieselben wie die, die gelebt haben. Es handelt sich um dasselbe Ich.

Wenn Paulus vom irdischen Leib (irdischem Ich) spricht, dann gilt von diesem irdischen Ich, dass es anschaubar, betastbar ist, dass es essen und trinken kann. Es ist Fleisch und Blut. Das AuferstehungsIch (der pneumatische Leib) existiert in einer davon vollständig unterschiedenen Existenzweise. Wie dieser Leib (dieses Ich) aussieht, kann Paulus nicht angeben. Er behauptet (mit Hilfe des Begriffes Leib) nur die Identität des Ich – in totaler Andersartigkeit.


Den irdischen Leib (das Ich in Fleisch und Blut) vergleicht Paulus mit einem Samenkorn, das ausgesät wird, stirbt und zerfällt. Der pneumatische Leib (das Ich in völlig anderer Existenzweise) setzt aber nicht voraus, dass Fleisch und Blut, dass der Körper, der in die Erde gelegt war, mit neuem Leben erfüllt wird. An dieser Stelle gibt Paulus dem korinthischen Einwand recht: Der Körper verwest und darum setzt ein pneumatischer Leib auch kein leeres Grab voraus (73).


Mit der Bezeichnung pneumatischer Leib wird die Identität mit dem irdischen Ich behauptet. Der pneumatische Leib entzieht sich jeder Vorstellung. Nur mit Bildern kann Paulus ausdrücken, was er meint. Selbstverständlich kann ein (pln verstandener) pneumatischer Leib nicht essen und betastet werden.

S. Schulz

2. Die Zukunftserwartung des vierten Evangeliums (Jh 14,2f;17,24)

Die Geisterfahrung bringt die Wiederkunftserwartung zum Verschwinden


Jh 17,24 ist der Zentralsatz jhn Hoffnung: „Vater, ich will, dass da, wo ich bin, auch die bei mir sind, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast, weil du mich liebtest vor Grundlegung der Welt“. Jesu letzter Wille ist, dass alle seine Freunde und Brüder mit ihm den himmlischen Ort der Herrlichkeit erreichen, den der Vater nach 14,2f längst bereitet hat, und dann seine immerwährende Herrlichkeit schauen! Das ist nicht die Sprache der apokalyptischen Messiaserwartung auf dem Zion. Es geht nicht um den apokalyptischen Triumph der zwölf Stämme Israels beim Kommen des Menschensohns auf den Wolken des Himmels. Hier wird die zukünftige Schau der Herrlichkeit des Offenbarers jenseits der zeitlich-irdischen Existenz der Glaubenden erhofft. Es geht um die Schau des in die himmlische Lichtwelt zurückgekehrten Sohnes. Die Seinen werden sein göttliches Wesen schauen. Es ist eine Herrlichkeit, die Jesus vor Grundlegung der Schöpfung besaß. Den Glaubenden wird ein Leben mit dem Offenbarer über den Tod hinaus verheißen. Alle die Seinen kommen mit dem Sohn zum himmlischen Ort und schauen dort seine unvergängliche Herrlichkeit. Mit der Anrede 'gerechter Vater' (Vers 25) bezeichnet Jesus seine Forderung als gerecht, der Vater möge den Seinen den Eingang in seine Herrlichkeit und die Wiedervereinigung mit dem Offenbarer jenseits des Todes gewähren (218f).


Das vierte Evangelium kennt die apokalyptische Zukunft im Sinn der Naherwartung und eines kosmischen Enddramas mit einem neuen Himmel und einer neuen Erde nicht und es ist auch nicht wie die Synoptiker vom Problem der Verzögerung des Jüngsten Tages bestimmt (220).


 

Radikale Ablehnung der spätjüdisch-urchristlichen Apokalyptik

An keiner Stelle malt der vierte Evangelist die Zukunft in apokalyptischen Farben. Die typisch apokalyptischen Endereignisse der Totenauferstehung und des Gerichts werden polemisch umgedeutet (3,18f; 5,24f; 11,25f) und sind Gegenwart in der Begegnung mit dem himmlischen

Gesandten. Heil und Unheil vollziehen sich im Glauben und Unglauben. Die Entscheidung des Unglaubens angesichts der Offenbarung ist das endgültige Gericht. Johannes kennt keine Apokalypse wie Mk 13 oder Lk 17 par. Johannes spricht auch von dem Gericht, aber das vollzieht sich fortwährend in der Gegenwart angesichts des in der Gemeindeverkündigung anwesenden Geist-Christus. Alles, was die traditionelle Gerichts- und Heilserwartung von der Endzeit erhoffte, wird von ihm in polemischem Sinn auf die Gegenwart Jesu bezogen: Jesu Kommen in die Welt und sein Abschied sind das eschatologische Ereignis. Das Gericht ist kein kosmisches Ereignis mehr, bei dem die Sonne sich verfinstert, der Mond seinen Schein verliert und die Sterne vom Himmel fallen (Mk 13,24ff), sondern das Gericht ereignet sich im Verhalten der Menschen angesichts der Offenbarerworte Jesu. An diesem Gesandten scheiden sich Glaube und Unglaube, Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge. Indem die Menschen den Glauben verweigern, richten sie sich selbst (3,19). Die Glaubenden sind schon jetzt ewig Lebende. Die Wiederkunft des Menschensohns Jesus ereignet sich nach Johannes im Hören der Botschaft Jesu. Im Fleischgewordenen ist das Heil auf Erden erschienen (220f).


Die gegenwärtige Geisterfahrung bringt die Nähe des Gottessohns (14,16). Die Geisterfahrung bringt als ewige die Wiederkunftserwartung zum Verschwinden. Was bleibt sind Aussagen wie 14,2f und 17,24: „Damit, wo ich bin, auch ihr seid“. Das 17. Kp. als konzentrierte Zusammenfassung der jhn Botschaft zeigt wie in einem Vermächtnis, was die Gläubigen von der Zukunft zu erwarten haben: Wie der Vater und der Sohn eins sind, so ist in Zukunft die Vereinigung aller Gläubigen untereinander und mit Gott zu erwarten. Es ist der erklärte Wille des Abschiednehmenden, dass alle seine Freunde und Brüder mit ihm den himmlischen Ort der Herrlichkeit erreichen, den der Vater nach 14,2f längst für sie bereitet hat, und dann seine immerwährende Herrlichkeit schauen. Die Endereignisse haben nach Johannes ihre ausschließliche Bedeutung darin, dass sie außerhalb der Welt in der Herrlichkeit geschehen. Alle die Seinen kommen mit dem Erlöser zum himmlischen Ort und schauen dort seine unvergängliche Herrlichkeit. Mit dieser himmlischen Einigung und Einheit wird das Werk des Erlösers abgeschlossen sein. Dann erst sind die Gläubigen nicht mehr zerstreut „in der Welt“, wo Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge, Leben und Tod miteinander im Streit liegen. Die Stunde der Passion als der Verherrlichung des Menschensohns ist das Gericht über den Kosmos und seinen eigentlichen Herrscher, den Fürsten der Welt. Bis zu jener himmlischen Einigung ist Jesus im Geist-Parakleten weiter bei seiner Gemeinde (14,16) und lehrt sie als „Geist der Wahrheit“ (15,26) alles das, was der fleisch-gewordene Gesandte in seinem Wort der Welt offenbart hat. Mit dem Tod der Jünger setzt sich die ewige Gemeinschaft mit dem Erhöhten jenseits von Raum und Zeit fort, wenn Jesus sie in die ewigen Wohnungen des Vaters holen wird (221f).

Traditionell apokalyptische Zukunftsaussagen: 6,39: „Das aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat, sondern, dass ich's auferwecke am Jüngsten Tage“.

6,40: „Denn das ist der Wille meines Vaters, dass wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage“.


6,44: „Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage“.


6,54: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage“.


Durch den Nachtrag in Kp 21 und durch die Einfügung der traditionellen Sakramentslehre in Kp 6 ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, dass die 'kirchliche Redaktion' auch die traditionell apokalyptische Zukunftserwartung in das vierte Evangelium nachgetragen hat (223).


 

G. Haufe 

Anhang: Entapokalyptisierte individuelle Eschatologie – das johanneische Zeugnis: Charakteristisch für das vierte Evangelium ist der Ausfall der apokalyptischen Eschatologie, nicht der Eschatologie überhaupt (von der Redaktion nachgetragen: 5,28; 6,39f.44.54c). Entscheidende eschatologische Begriffe werden betont auf die Gegenwart bezogen, ohne jedoch ihren futurischen Aspekt im Sinne postmortaler Heilszukunft zu verlieren. Sachlicher Kontext der meisten Aussagen ist dabei die zentrale Rede vom Glauben bzw. Unglauben, deren Heilsbedeutsamkeit offenbar nur individual-eschatologisch angemessen zum Ausdruck gebracht werden kann. Wie sehr dabei der einzelne im Blick ist, sieht man daran, dass die Mehrzahl der hier interessierenden Heilsaussagen im Singular formuliert ist (454).


Das Gerichtsmotiv wird gewollt präsentisch uminterpretiert : Wer an ihn (den Sohn) glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet“ (3,18). D.h. einen noch ausstehenden Gerichtstag gibt es nicht. Demzufolge gilt: Wer nicht in das Gericht kommt, „ist aus dem Tod in das Leben hinübergeschritten“ (5,24). „Tod“ und „Leben“ bezeichnen Unheil und Heil als schon gegenwärtige Wirklichkeiten: Wer Jesu Wort bewahrt, „wird den Tod in Ewigkeit nicht sehen“ (8,51) und umgekehrt: „Wer dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm“ (3,36). Was einer endgültig zu „sehen“ bekommt, das macht sein eschatologisches Geschick aus.

Darüber wird jetzt in der Begegnung mit dem Offenbarer bzw. seinem Wort entschieden. Der physische Tod spielt innerhalb einer so akzentuierten Heilstheologie keine relevante Rolle, weil die entscheidende Totenerweckung jetzt im Hören auf die Stimme des Sohnes Gottes erfolgt (5,25). Gericht und Auferweckung sind gegenwärtiges Geschehen mit unbegrenztem Futurbezug (454f).

Derselbe Doppelaspekt von gegenwärtiger und zukünftiger Heilswirklichkeit findet sich in der john Rede vom ewigen Leben: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben“ (6,40-47; 3,36). Dieses betonte 'Haben' ist Zusage eines realen Besitzes. „Dies ist das ewige Leben, das sie dich, den wirklichen Gott, erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (17,3). D.h. ante mortem fallen ewiges Leben und Glaubenserkenntnis zusammen. Keinesfalls ist ewiges Leben substanzhaft gedacht. Trotzdem ist auch hier der futurische Aspekt nicht zu übersehen. Er kündigt sich an, wenn das gegenwärtige 'Haben' negativ als Bewahrung vor dem eschatologischen „Verderben“ (3,16), vor dem eschatologischen „Tod“ (5,24) interpretiert wird. Positiv bezieht sich auf ihn die Rede vom dem „ins ewige Leben“ sprudelnden Wasser (4,14b), von der „Frucht für das ewige Leben“ (4,36), von der „zum ewigen Leben“ bleibenden Speise (6,27), vom Bewahren des Lebens „für das ewige Leben“ (12,25) (nach dem Gesamtbefund). Alle diese Stellen deuten auf eine noch ausstehende Vollendung. Ewiges Leben bedeutet für die Zukunft des Glaubenden, dort zu sein, wo der Erhöhte schon ist, nämlich im Haus des Vaters und seine Herrlichkeit zu schauen (12,26.32; 14,3; 17,24). Ewige Christusgemeinschaft, verbunden mit der Schau seiner nicht mehr von der Sarx verhüllten Doxa, ist die Heilsvollendung, auf die der einzelne zugeht in einem Jenseits, für das es keine apokalyptischen Hoffnungsbilder gibt. Der Gläubige hat von der Zukunft noch entscheidend Neues zu erwarten. Ewiges Leben ante mortem und post mortem meint nicht dasselbe (455f):


Auch diese Aussagenreihe kommt ohne verbale Bezugnahme auf das irdische Sterben aus. Irdisches Sterben ist durch die Vorgabe des ewigen Lebens überholt. Dies macht die Richtung der john Aussagen aus und bezeugt, dass im Vergleich zur herkömmlichen Eschatologie ein tiefgreifendes Umdenken erfolgt ist. Wo der eschatologische, der eigentliche Tod nicht mehr droht, da ist der leibliche Tod als nichtige Größe erkannt: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt und jeder, der lebt und glaubt an mich, wird in Ewigkeit nicht sterben“ (11,25f). Der physische Tod ist der Übergang aus dem irdischen Dasein in das himmlische, aus dem Glauben in das Schauen, dank der schon empfangenen Heilsgabe des ewigen Lebens. Im Tod wird offenbar, wohin der Mensch aufgrund seines Glaubens oder Unglaubens schon jetzt auf ewig gehört (456f).


Die theologische Begründung für solche entapokalyptisierte individuelle Eschatologie ist eine christologische. Die alte hellenistisch-judenchristliche Sendungschristologie (Gal 4,5f; Röm 8,3f) wird derart radikalisiert, dass sie ohne apokalyptischen Horizont auskommt. Das Kommen des Sohnes bzw. des Lichtes in die Welt ist die entscheidende „Krisis“, auf die keine weitere mehr folgt (3,19). Der Sohn hat vom Vater die Vollmacht, jetzt Gericht zu halten (5,22.27) und lebendig zu machen (5,21), da er selbst Leben in sich hat (5,26). Er selbst gibt den Seinen das ewige Leben (10,28; 17,2); seine Worte sind „Geist“ und „Leben“ (6,63). Anders als das Manna in der Wüste ist er das vom Himmel herabgestiegene „Lebensbrot“, dessen Genuss vor dem eschatologischen Sterben bewahrt (6,48.50f). Angesicht konkreten Sterbens proklamiert er sich in Person als „die Auferstehung und das Leben“ (11,25). Insgesamt erscheint der Sohn als der eine entscheidende Lebensträger und –spender, der allein die Heilsgabe des ewigen Lebens vermittelt. Sein siegreiches „Hingehen“ zum Vater (ähnlich 7,33; 13,3; 14,12.28; 16,5.10.17.28) dient dazu, für die Seinen in den vielen Wohnungen des Vaterhauses Platz zu schaffen (14,2), um dann wiederzukommen und sie zu sich zu holen (14,4) bzw. sie auf ewig zu sich zu ziehen (12,32) – beginnend in ihrer irdischen Existenz, vollendend in der Todesstunde.

Erlöser und Erlöste werden für immer beisammen sein. Nirgends im NT erfährt christliche

Zukunftsgewissheit eine so breite und zugleich thematisch so konzentrierte christologische Begründung wie im vierten Evangelium (457f). (A 74: Der 1Joh redet zwar von einem kommenden Gerichtstag (4,17), nicht aber von einer Auferweckung am Jüngsten Tag. Diese fehlt auch im Kol, Eph und in den Pastoralbriefen). Die vom späteren Redaktor eingefügten Stellen 5,28f; 6,39f.44.54c mit dem Hinweis auf die Auferweckung am Jüngsten Tag passen in dieses Gesamtbild nicht hinein.

3. Wandlungen im paulinischen Denken in bezug auf die Eschatologie

U. Schnelle (1989)

1Thess 4,13-18

Ausgelöst durch überraschende Todesfälle in der Gemeinde, verbindet Paulus in 1Thess 4,13-18 erstmalig die Vorstellung der Parusie des Herrn und die Vorstellung einer Auferstehung toter Christen. Er setzt den Tod und die Auferweckung Jesu als anerkannten Gemeindeglauben der 

Thessalonicher voraus und folgert, Gott werde auch die schon Entschlafenen nicht verloren gehen lassen. Bei der Parusie findet ein eschatologisches Mittlerwirken Jesu statt, denn Gott wird durch Jesus die schon Entschlafenen mit Jesus führen (37).


Innerhalb des traditionellen Herrenwortes beginnt die Schilderung der Endereignisse mit dem triumphalen Kommen des Kyrios vom Himmel, dem zuerst die Auferstehung der Toten in Christus und dann die gemeinsame Entrückung mit den Lebenden in die Wolken zur Begegnung mit dem Herrn folgen, um beim Herrn zu sein und zu bleiben. Der Auferstehung der toten Gemeinde-mitglieder kommt innerhalb dieses Ablaufs nur eine untergeordnete Funktion zu. Die Auferstehung der Toten in Christus ist lediglich die Voraussetzung der Entrückung aller, die den eigentlichen eschatologisch Akt darstellt. Paulus konnte in Erwartung der unmittelbar bevorstehenden Parusie des Herrn zunächst auf die Vorstellung einer Auferstehung der gläubigen Toten verzichten. Erst der Tod einiger Christen vor der Parusie zwingt ihn zur Einführung einer Auferstehung der toten Gläubigen (38f).


1Kor 15,51

Eine veränderte Situation spiegelt sich im 1Kor wider, denn hier ist der Tod von Christen vor der Parusie die Regel. "Weil Fleisch und Blut das Himmelreich nicht ererben können" (1Kor 15,50), ergibt sich für Paulus das Problem der Substantialität des Auferstehungsleibes.


Ausgehend von der Schöpferkraft Gottes, der verschiedene Arten von Leibern schafft und vergehen lässt, gelangt Paulus in den Vv 35ff zu einer antithetischen Anthropologie, bei der die SomaVorstellung die Kontinuität zwischen der irdischen und himmlischen Seinsweise gewährleistet, während die scharfe Unterscheidung zwischen dem vergänglichen irdischen Leib und dem unvergänglichen geistigen Leib die Diskontinuität zwischen der prä-und postmortalen Existenz zum Ausdruck bringt (1Kor 15,42-49) (39f).


Ermöglichungsgrund der Auferstehung der Verstorbenen Christen ist die Auferstehung Jesu Christi, der als lebensspendender Geist den pneumatischen Auferstehungsleib der Verstorbenen bewirkt (1Kor 15,44f).Mit V 50 leitet Paulus das in V 51 folgende Mysterium ein: sowohl die bei der Parusie noch lebenden (Fleisch und Blut) als auch die schon Verstorbenen (das Vergängliche) können in ihrer jeweiligen natürlichen Beschaffenheit nicht zu Gott gelangen. Vielmehr bedarf es dazu eines außerordentlichen Aktes Gottes, den der Apostel in V 51f schildert: "Wir werden alle verwandelt werden". Betont 'alle' die Gleichrangigkeit von noch Lebenden und schon Verstorbenen im Endgeschehen, so vermag das Verwandlungsmotiv die Gleichstellung aller bei der Parusie zu wahren. Das Verwandlungsmotiv betont gleichermaßen sowohl die Diskontinuität gegenüber dem alten Sein als auch den Modus des neuen Seins. Allein im souveränen Handeln Gottes sind Zeitpunkt und Art der eschatologischen Neuschöpfung begründet. Die neue Leiblichkeit der beiden Gruppen benennt Paulus in V53, wobei ‘bekleidet werden‘ als Modus der Verwandlung den Gedanken der Kontinuität zwischen dem alten und neuen Sein betont (40f).


Paulus muss der (gegenüber 1Thess 4,13-18) veränderten geschichtlichen Situation in seiner Argumentation Rechnung tragen. Er tut dies mit der Einführung des Verwandlungsmotivs, das gleichermaßen Kontinuität und Diskontinuität zwischen prä-und postmortaler Existenz betont, die Gleichrangigkeit zwischen schon Verstorbenen und noch Lebenden gewährleistet und zugleich die von der anthropologischen Argumentation her geforderte Antwort auf das ‘Wie‘ der Auferstehung der Christen gibt. 1Kor 15,51f ist konzentriert auf die Frage nach dem Übergang in die neue postmortale Seinsweise (42).


2Kor 5,1-10

Das Motiv des 'Bekleidetwerdens' wird im 2Kor pointiert als 'Überkleidetwerden' aufgenommen. Der Apostel fürchtet das Sterben als ein möglicherweise im Endgeschehen hinderliches Ereignis. Deshalb sein Wunsch, überkleidet und nicht nackt in diesem Geschehen gefunden zu werden. Weil das Sterben sich als ein Akt des Entkleidens (ohne folgendes Überkleidetwerden) vollziehen kann, hofft der Apostel dann überkleidet zu sein, weil nur so das Leben das Sterbliche verschlingt. Als Unterpfand des neuen Lebens hat Gott bereits jetzt dem Getauften den Geist verliehen (2Kor 1,21f), der als unverlierbare Gabe das Sterben überdauert (1Kor 3,15f; 5,5) und Voraussetzung für das Überkleidetwerden mit dem Soma pneumatikon ist. Der Tod vor der Parusie des Herrn erscheint hier nicht nur als Möglichkeit, er ist sogar das Verlangen des Apostels! Weil das erhoffte Sein bei Christus unmittelbar mit dem Gericht verbunden ist, schließt Paulus den Abschnitt mit der Mahnung ab, dem kommenden Gericht gemäß zu leben (V 9f) (42f).


Kennzeichnend für 2Kor 5,1-10 ist eine Tendenz zum Dualismus und zur Individualisierung. Der

Dualismus zeigt sich zunächst in den Bildern (irdische - himmlische Behausung, Daheimsein - Fernsein, entkleidet - überkleidet werden, das Sterbliche - das Leben), denen eine hellenistisch geprägte Anthropologie zugrunde liegt. Das Bild vom Leib als Zelt und damit nur zeitweiliger Wohnstätte des Selbst, die Gewandmystik, die Nacktheit als Folge der Trennung von Leib und Seele, die Vorstellung der eigentlichen Heimat im Jenseits und des Daseins im Leib als Leben in der Fremde weisen auf griechisch-hellenistischen Einfluss hin. Weil der Apostel den irdischen Leib verlassen möchte, beurteilt Paulus hier die Leiblichkeit mit Hilfe dualistischer Kategorien in negativer Weise. Die Individualisierung der Eschatologie zeigt sich in dem fast völligen Verzicht auf apokalyptische Vorstellungen in 2Kor 5,1-10. Paulus gibt die Parusieerwartung nicht auf, aber er setzt neue Akzente: der Tod vor der Parusie des Herrn erscheint nun als der Normalfall (43f).
 

Phil 1,23; 3,20f

Die Bedeutung der historischen Situation für das Denken des Apostels ist in Phil 1,18c-26 unverkennbar. Paulus gerät in Gefangenschaft (Phil 1,6.13f.16) und hat seinen Tod als Märtyrer vor Augen (1,20; 2,17), zugleich ist er aber um die Gemeinde besorgt (1,22f).


Eigentlich möchte er beim Herrn sein und sterben, gleichzeitig hält ihn aber die Verantwortung für die Gemeinde davon ab. Paulus erwartet das 'Mit-Christus-Sein' unmittelbar nach dem Tod. Die Ausrichtung des Apostels an der zukünftigen himmlischen Existenz zeigt sich auch in Phil 3,20f. Paulus setzt sich mit sarkisch gesinnten Gegnern auseinander (Vv 17-19) und stellt Ihnen die Gesinnung der Gemeinde auf das Himmlische gegenüber. Unter Aufnahme traditionellen Materials spricht er vom Bürgerrecht in den Himmeln, dem der Christ bereits in der Gegenwart angehört, um dann eine Schilderung des Parusiegeschehens anzufügen, die mit dem Kommen des Retters Jesus Christus einsetzt und in der Verwandlung des gegenwärtigen Leibes der Niedrigkeit zu einem dem

Christusleib gleichgestalteten Leib der Herrlichkeit und der Unterwerfung des Alls durch Christus ihren Höhepunkt hat. Die Parusie ist hier der Ausgangspunkt des Endgeschehens, weil Paulus hier die ganze Gemeinde anredet und nicht nur sein individuelles Geschick bedenkt. Dennoch sind auch in 3,20f Züge einer individuellen Eschatolologie unverkennbar: Die Parusie erscheint lediglich als Auslöser für die als individuelle Vollendung gedachte Verwandlung der Lebenden. Über die Auferstehung der Toten und damit das Schicksal der Verstorbenen wird nichts gesagt. Ihre eschatologische Zukunft stellt sich Paulus offenbar wie seine eigene als unmittelbaren Übergang in das Mit-Christus-Sein vor (45f).


Folgerungen

Der Ablauf des Endgeschehens ändert sich angesichts der sich einstellenden Dehnung der Zeit (48).

In 1Thess 4,13 lässt die Anfrage der Thessalonicker darauf schließen, dass Paulus bei seinem Gründungsaufenthalt in Erwartung der unmittelbar bevorstehenden Parusie des Herrn n i c h t von einer Auferstehung der toten Christen sprach, sondern die baldige Entrückung aller Christen erhoffte.

In 1Thess 4,14-18 trägt die pln Antwort der durch den Tod einiger Christen vor der Parusie veränderten geschichtlichen Situation Rechnung, indem nun die Auferstehung der Toten als Hilfsvorstellung zur Wahrung der Gleichstellung von Toten und Lebenden eingeführt wird, gleichzeitig aber die Entrückung die zentrale eschatologische Vorstellung bleibt.


In 1Kor 15,51ff ist in Korinth anders als in Thessalonich der Tod vor der Parusie schon der Regelfall, was Paulus in 1Kor 15,51ff zur Betonung der Gleichheit aller bei der Parusie und der Aufnahme des Verwandlungsmotivs zur Beschreibung des Übergangs in die postmortale Existenz veranlasst.

In 1Thess 4, 17 und 1Kor 15,52 hatte Paulus seine Stellung im Endgeschehen noch als Lebender ('wir') angegeben.


In 2Kor 5, 1-10 rechnet Paulus erstmals mit seinem Tod vor der Parusie. Diese einschneidende 

Veränderung der Situation des Apostels spiegelt sich in einem Zurücktreten der apokalyptischen Elemente bei der Schilderung der Endereignisse und damit verbunden der Aufnahme hellenistischer Begrifflichkeit und der Tendenz zum Dualismus und zur Individualisierung wieder.

Phil 1, 23 bestätigt diese Linie, denn hier ersehnt der Apostel seinen Tod vor der Parusie, weil dadurch das Mit-Christus-Sein ermöglicht wird. Allein in dem 'Mit-dem-Herrn-Sein/Mit-ChristusSein' liegt die Konstante der pln Eschatologie (47).

Solange Paulus fest damit rechnete bei der Parusie des Herrn noch zu leben, erfolgt die Schilderung der Endereignisse in einem apokalyptischen Szenarium. Das dann für möglich gehaltene Sterben vor der Parusie führt zu am individuellen Geschick des Apostels orientierten eschatologischen Aussagen.


Diese Veränderung ist sachgemäß, denn die sich einstellende Erfahrung der Zeitlichkeit christlicher Existenz zwang Paulus, das Schicksal der vor der Parusie verstorbenen Christen und auch sein eigenes Schicksal mit zu bedenken. Der Ausarbeitung einer an der Person des Apostels ausgerichteten individuellen Eschatologie kommt dabei exemplarische Bedeutung zu, wird doch der Tod vor der Parusie immer mehr zum Regelfall (48).


In zentralen Bereichen der pln Eschatologie kann von einer Entwicklung, von einem der sich ändernden historischen Situation entsprechenden folgerichtigen Fortschreiten des Denkens des Apostels Paulus gesprochen werden.


C.H.Hunzinger

4. Eine neue Form der Hoffnung (Phil 1,23ff)

(1) Die Hoffnung für die Toten: 1Thess 4,13ff: In Anlehnung an apokalyptische Traditionen des Urchristentums erwartet Paulus, dass den Toten am Tag der Parusie die Auferweckung und zusammen mit den Lebenden die Vereinigung „mit Christus“ zuteil werden wird. Entsprechend wird in 1Kor 15,23 von der Auferstehung der Toten bei der Parusie gesprochen und in V.50ff das Geschehen „bei der letzten Posaune“ näher geschildert. Hier steht im Vordergrund der Gedanke der Verwandlung in die neue Leiblichkeit, wie er in 1Thess 4,13ff so nicht ausgesprochen wird: „Wie wir das Bild des Irdischen (Adam) getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen (Christus) tragen“(V.49). Die Verwandlung in dieses neue Wesen vollzieht sich an Toten und Lebenden zugleich, „in einem Augenblick“(V.50): „die Toten werden auferweckt werden als Unverwesliche und wir (Lebenden) werden verwandelt werden“ (V.52). Gemeinsam erreichen sie (Tote und Lebende) am Tag der Parusie die Vollendung (72f).


In Phil 1,21ff geht es um das eigene Geschick des Apostels, der als Häftling damit rechnen muss, dass der gegen ihn geführte Prozess unter Umständen mit dem Todesurteil endet. In dieser Lage bekennt Paulus, nicht zu wissen, was er sich wünschen soll. Die Alternative Leben oder Sterben (V.20) ist für ihn dadurch vertauscht, dass für ihn das eigentliche Leben Christus heißt und Sterben darum Gewinn bedeutet. Seine 'Begierde' zielt auf das Sterben, denn das wäre das weitaus beste. Aber „um euretwillen ist es nötiger, dass ich noch am Leben bleibe“ (V.24).  Das „  mit Christus sein “, das hier (V.23) wie in 1Thess 4,17 das Ziel der Hoffnung bezeichnet, wird bereits unmittelbar im Tod erwartet und nicht erst bei der Parusie. Das Bleiben bei der Gemeinde und das Sein bei Christus stehen als Möglichkeiten konkurrierend nebeneinander. Es wäre für den Apostel ein Vorzug, schon jetzt zu sterben und in die volle Gemeinschaft mit Christus zu gelangen. Die Aussagen von 1Thess 4,13ff und Phil 1,21ff widersprechen sich (73).


Hätte Paulus die Vorstellung von Phil 1,21ff schon früher gekannt, so hätte er sie in 1Thess 4,13ff der über ihre Toten besorgten Gemeinde nicht vorenthalten können. Beruhigt Paulus in 1Thess 4 die Gemeinde damit, dass die Lebenden den Toten nicht voraus sein werden, sondern dass beide gleichzeitig ans Ziel kommen werden, so hätte er im Sinn von Phil 1 herausstellen können, dass die Toten den Lebenden voraus sind, denn sie sind schon jetzt in der vollen Christusgemeinschaft, die die Lebenden erst bei der Parusie erlangen werden. Sie sind nicht nur gleichgestellt und damit nicht benachteiligt, sondern sie sind entschieden bevorzugt („denn das wäre das weitaus beste“ V.24)! Aber davon weiß Paulus in 1Thess 4 nichts (74f).


In 2Kor 5,1ff werden die verschiedenen Formen der Zukunftserwartung in einem Konflikt ausgetragen. In den ersten Versen, die vom Seufzen bestimmt sind, wird das Ziel der Hoffnung unter den Bildern der neuen Behausung und der neuen Bekleidung beschrieben. V.1 stellt dem irdischen, zum Abbruch bestimmten 'Haus', das als 'Zelt' in seiner Vorläufigkeit gekennzeichnet wird, den neuen „Bau von Gott“ gegenüber, der, von ewiger Dauer, im Himmel bereitsteht. In V.2ff verbindet sich damit das Bild vom neuen Gewand; wir sehnen uns danach, unsere himmlische Behausung anzuziehen. Es geht für Paulus um eine totale Verwandlung des Seins. Das Kontinuum ist in der Identität der Person gegeben. Leiblosigkeit bedeutet für Paulus Tod, Nichtsein (76f).


V.1 spricht die Zuversicht aus, dass beim Abbruch der alten Behausung eine neue im Himmel bereitsteht. Das Interesse haftet hier zunächst allein an dem Vorhandensein des himmlischen Hauses. Wenn trotz dieser tröstlichen Gewissheit in V.2 vom Seufzen gesprochen wird, so erfährt diese Aussage in V.4 ihre Begründung: „weil wir uns nicht auskleiden, sondern überkleiden wollen, auf dass das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben“. Das Verlangen richtet sich darauf, der Entkleidung im Sterben zu entgehen und stattdessen ohne vorherigen Tod bei der Parusie der Überkleidung teilhaftig zu werden. Paulus sehnt sich danach, die Parusie zu erleben und so unmittelbar in das vollendete Sein zu gelangen. Die Alternative, die er fürchtet, ist das Entkleidetwerden beim Sterben. Das Seufzen blickt auf das Unbekleidetsein, den Zustand, der sich zwischen dem Auskleiden beim Sterben und dem Neubekleiden bei der Parusie ergibt, die Zwischenzeit, in der der Tote jeder Behausung entbehrt. Vor diesem 'nackten' Zustand zwischen Tod und Parusie scheut sich der Apostel. In der Nacktheit ist der Tote dem Verlorenen gleichgestellt. Darum der Wunsch, durch das Erleben der Parusie vor diesem Zustand bewahrt zu werden (78f).


Von V.6 an ist das Seufzen der Zuversicht gewichen (mutig seiend V.6; wir sind mutig V.8). In Vers 8 findet diese Zuversicht ihren konkreten Ausdruck in dem Wunsch zu sterben. Dieser Wunsch wird damit begründet, dass „auswandern aus dem Leibe“ „daheimsein beim Herrn“ bedeutet (V.8): das Sterben führt zum Kryios! Dieser Satz wird vorbereitet in V.6: „wir wissen, dass wir, solange wir im Leibe zu Hause sind, fern sind vom Herrn“: der Glaubende weiß sich in dieser Welt in der Fremdlingschaft, seine eigentliche Heimat ist beim Herrn oder im Himmel (Phil 3,20). Die gegenwärtige irdische Existenz steht unter dem 'Noch nicht' und steht damit weit zurück hinter dem zukünftigen Zustand der Vollendung, der erst die volle Gemeinschaft mit dem Kyrios bringen wird. Wir wandeln noch im Glauben, nicht im Schauen. Das Schauen „von Angesicht zu Angesicht“ ist Ziel unserer Hoffnung (1Kor 13,12). Wenn unser irdisches Dasein Fernsein vom Herrn bedeutet, so wird unser Aufbruch aus demselben Heimkehr zum Herrn sein. Darum sind wir voller Zuversicht und möchten gern aufbrechen. Statt Furcht vor dem Sterben, weil es Entkleidung heißt, hier nun Lust zum Sterben, weil es Heimkehr heißt. Das sind zwei grundverschiedene Formen der Zukunftserwartung (80).


(2) Begründung für die neue Gewissheit: Gott hat dem Glaubenden schon das Pneuma geschenkt, das Angeld, das die Vollendung verbürgt (V.5 vgl. Röm 8,11). In der Gabe des Pneumas hat der Glaubende schon jetzt Anteil an der eschatologischen Vollendung, die mit der Auferweckung Jesu Christi angebrochen ist. In Christus ist er bereits eine neue Kreatur (2Kor 5,17). Dieses schon empfangene neue Sein kann durch den Tod nicht suspendiert, sondern nur zur Vollendung geführt werden. Von der bereits inaugurierten Eschatologie her wird das alte apokalyptische Vorstellungsschema durchbrochen und eine neue Hoffnung eröffnet (81).


 

(3) Auferstehung und Parusie: Was die Auferstehung anlangt, so kann man sie in der neuen Form der paulinischen Zukunftsvorstellung nicht von der Erwartung der „Heimkehr zum Herrn“ im Tode trennen, als ginge es um zwei verschiedene Akte, sondern beides fällt ineinander. Die Hoffnung auf die Christusgemeinschaft setzt die Erwartung der neuen Leiblichkeit im Tod voraus. So wie Jesus Christus in seiner Auferweckung ein 'Soma' der Herrlichkeit empfangen hat, so wird Jesus Christus „unseren nichtigen Leib verwandeln, dass er gleich werde seinem verherrlichten Leib nach der Kraft, mit der er sich alle Dinge untertan machen kann“ (Phil 3,21). Ist an dieser Stelle zwar (V.20) an die Verwandlung der Lebenden bei der Parusie gedacht, so zeigt sie doch, in welcher Form das „mit Christus sein“ bei Paulus allein gedacht werden kann. Der Gedanke einer gemeinsamen, gleichzeitigen Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag ist damit aufgegeben. Für den, der zu Christus gehört, vollzieht sich die Auferstehung jeweils bei seinem Tod. Mit Ostern hat das Auferstehungsgeschehen bereits begonnen – das alte apokalyptische Zeitschema ist damit durchbrochen. Es liegt in der Konsequenz der Auferstehungspredigt, dass nun auch die, die zur Gemeinde des Auferstandenen gehören, nicht erst bei einer zukünftigen Parusie, sondern schon bei ihrem Sterben in die Vollendung aufgenommen werden. Darin vollzieht sich dann auch das letzte Gericht: mit der Aufnahme in die Christus-gemeinschaft wird das Urteil bereits vollstreckt. So ist für den Glaubenden im Tod nicht ein Zwischenzustand, sondern der Endzustand erreicht (86f).


 

Die Parusie-Erwartung: Für die, die die Parusie erleben, gilt die alte Vorstellung von der

Verwandlung unverändert weiter. Nur die Toten sind ihnen voraus, sie leben schon mit Christus. Vom Glaubenden wird im Tod bereits das Ziel der Christusgemeinschaft erreicht. Die Erwartung der Parusie wird für den einzelnen, der im Tod die Vollendung ergreift, entbehrlich. Im Glauben an den Auferstandenen hat Paulus selbst schon jetzt Anteil an der 'Zoe', gegen die der Tod keine Macht hat. So wird ihm gerade der Tod zum Aufbruch in das Leben, das für ihn Christus heißt (87f).


 

H. Graß (1974)

5. Was dürfen wir hoffen angesichts des Todes und angesichts der geschichtlichen Wirklichkeit?

Verschiedene Eschatologien: Der Übergang zur hellenistischen Gemeinde ist verständlicher, wenn auch in der Urgemeinde schon das Bewusstsein gelebt hat, dass der neue Äon bereits im Anbrechen ist. Im hellenistischen Bereich hat eine Verschiebung von der Erwartung zu dem in Jesus Christus bereits gegenwärtigen Heil stattgefunden. Die Begriffe des Reichs Gottes und des Menschensohns treten zurück; man erwartet jetzt den Kyrios, aber dieser Kyrios ist der gegenwärtige, den man im Kult verehrt und im Geist erfährt. Man blickt stärker auf das, was an Heilsgaben bereits geschenkt ist, als auf das, was zur vollen Verwirklichung des Heils noch fehlt (169).

Dass man Paulus  nicht einseitig auf die Vorstellungen des jüdisch-apokalyptischen Hoffnungsbildes festlegen kann, zeigen Stellen wie Phil 1,23 und 2Kor 5,1-8. Auch der von Paulus übernommene Christushymnus Phil 2,6ff proklamiert am Schluss die Herrschaft Christi über die Wesen und Mächte aller Bereiche, ohne dabei die Auferstehung Christi und seine Parusie zu erwähnen. Im zentralen Abschnitt über die Totenauferstehung 1Kor 15 betont Paulus in den Vv. 35-50 die Grundverschiedenheit der Auferstehungsleiblichkeit von der irdischen Leiblichkeit: Der jüdische Auferstehungsrealismus ist gebrochen (170).


Die Vergeschichtlichung der Eschatologie ist von Johannes radikal durchgeführt worden. Johannes hat nicht nur auf die apokalyptische Zukunftseschatologie verzichtet, sondern er hat seine Anschauungen offenbar in Antithese zur traditionellen apokalyptischen Eschatologie formuliert. Jeder Gedanke an eine kosmische Katastrophe fehlt. Die Parusie ist durch das Wiederkommen im Geist ersetzt. Der Ausblick auf eine künftige Vollendung des jetzigen Lebens des Glaubenden bezieht sich auf die Zukunft des einzelnen Glaubenden nach dem Ende seines irdischen

Lebens. Johannes bedient sich nicht der Hoffnungsbilder der jüdischen Apokalyptik, sondern der Gnosis, jedoch sind diese umgeformt und ihres mythischen Charakters entkleidet (14,3f; 17,24). Die apokalyptische Eschatologie hat bei Johannes jedes Gewicht verloren. Das Schwergewicht liegt in der Gegenwärtigkeit des eschatologischen Geschehens; Christus ist die Auferstehung und das Leben (11,25; 14,6), wer an ihn glaubt, kommt nicht ins Gericht, das jetzt schon ergeht (12,31), sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen (5,24; 3,16.18; 6,47; 8,51). Die Hoffnung bezieht sich darauf, nach dem Tod zu ihm in die Herrlichkeit aufgenommen zu werden (17,24; 12,32) (170f).


Auch im Hebräerbrief hat eine starke Gewichtsverlagerung weg von der apokalyptischen 

Eschatologie stattgefunden. Zwar verwendet der Hebr weiterhin die urchristlichen apokalyptischen Vorstellungen und Begriffe. Aber die Verwendung dieser Begriffe kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die entscheidenden eschatologischen Vorstellungen des Hebr nicht solche der Zeitlichkeit, sondern der transzendenten Räumlichkeit sind. Das gilt für Begriffe wie 'Eingehen in die Ruhe' (3,11.18; 4,111), 'himmlische Stadt, himmlisches Jerusalem oder Vaterland' (11,10.13-16; 12,22f; 13,14) und andere Begriffe. Das gilt vom Hinzutreten zu Gott, zum Thron der Gnade, zu dem die Gläubigen aufgerufen werden, weil Christus, der Hohepriester, in das himmlische Heiligtum eingetreten ist und dort für die Seinen eintritt (4,14-16; 7,19.25; 10,21f). Die Vorstellung von einem ewig am himmlischen Heiligtum amtierenden Hohenpriester steht mit der des zum Gericht kommenden Menschensohns in einem Spannungsverhältnis. Von Christi Sitzen zur Rechten Gottes ist mehrfach die Rede (1,3; 8,1; 12,2), aber er hat sich dort für immer niedergelassen, er kommt nicht zum Gericht, sondern wartet, bis seine Feinde zum Schemel seiner Füße gemacht werden (10,12f), er nimmt dort einen ständigen himmlischen Dienst wahr (8,1f). Der Prolog des Briefes 1,1ff begnügt sich mit der Feststellung der sessio ad dextram und der Erhabenheit Jesu über die Engel. Die Schlussdoxologie (13,20f) bringt trotz der Erwähnung der Auferstehung Jesu keinen eschatologischen Ausblick. Auch das Wort: Jesus Christus gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit“ impliziert nicht notwendig die Parusie. Die apokalyptisch klingenden Stellen befinden sich vor allem in Paränesen (10,25.27.36-39). Sie sind weniger theologisch als stimulierend gemeint. Nur in der Vorstellung der

Glaubenswanderschaft hält der Hebr den urchristlichen Zeitbegriff fest. Aber das Ziel dieser

Wanderschaft liegt nicht nur vorne, sonder auch oben, im Jenseits, in der himmlischen Heimat (3,74,11; 11,40; 13,14). Verbunden ist die irdische Gemeinde, das wandernde Gottesvolk mit der himmlischen Heimat und der himmlischen Gemeinde durch den Gottesdienst (12,22-24) (171).
 

Lukas hat die Naherwartung aufgegeben. Die Geschichte der Kirche hat als dritte Epoche der

Heilsgeschichte ein eigenes Gewicht bekommen. Der Blick ist nicht vorwärts auf den kommenden

Herrn gewandt, sondern eher rückwärts auf das Leben und Wirken Jesu, das die Mitte der

Heilsgeschichte bildet. Die Erwartung ist in die Ferne gerückt. Die Frage nach dem Wann des Reichs wird abgewiesen und die Mission für den ganzen Erdkreis anbefohlen (Apg 1,6-8). Lukas hat mit seiner heilsgeschichtlichen Eschatologie am Ende der Tage das Schema vorgezeichnet, wie es dann in der späteren kirchlichen Eschatologie maßgebend geworden ist (171f).


 

Die Auffassungen bei Johannes, im Hebräerbrief und bei Lukas zeigen, dass die urchristliche Eschatologie einen verschiedenen Ausgang genommen hat: Wir haben eine heilsgeschichtlichendgeschichtliche Eschatologie bei Lukas, eine präsentische Eschatologie bei Johannes, eine Jenseitseschatologie im Hebräerbrief. Die präsentische Eschatologie des Johannes wird durch eine Jenseitseschatologie ergänzt, die die Aufnahme der Gläubigen in die himmlische Herrlichkeit erhofft. Paulus hofft auch, mit dem Abscheiden bei Christus zu sein. Der Hebräerbrief überbietet die individuelle Hoffnung dadurch, dass er das Gottesvolk auf die himmlische Heimat zuwandern lässt. Der auf dem himmlischen Thron sitzende und im himmlischen Heiligtum amtierende Christus ersetzt bei ihm den Machterweis des Kommenden, was schon im Christushymnus (Phil 2,9-11) der Fall zu sein scheint. Von einer einheitlichen Eschatologie im NT kann nicht die Rede sein (172).

Die apokalyptische Eschatologie im NT verdankt ihre Lebendigkeit der Naherwartung. Mit dem Ausbleiben der Parusie musste sie diese Lebendigkeit verlieren. Eine Erwartung der Wiederkunft Christi einst am Ende der Geschichte (Lukas) und die Naherwartung des Urchristentums sind zwei sehr verschiedene Dinge. Es ist zu fragen, ob das, was uns im NT als Eschatologie begegnet christlich ist. Die ntl Eschatologie ist im starken Maß von der spätjüdischen Apokalyptik abhängig. Die spätjüdische Apokalyptik ist der ntl Eschatologie vorgegeben und prägt ihre Denkund Vorstellungsweisen. Sie kann nicht als Ausdruck des christlichen Glaubens verstanden werden (172f).


In Christus ist die Verheißung ans Ende gekommen und erfüllt. Das apokalyptische Erbe, das das NT aus dem Spätjudentum übernahm, war kein segenreiches Erbe, weil damit die mythologische Hypothek übernommen wurde, dass Gott alsbald der Geschichte und dieser Welt in einem Gerichtsakt ein Ende bereiten werde. Das ist eine Vorstellung, die sich nicht festhalten lässt: Wenn wir heute den Glauben an Gott den Schöpfer der Welt und des Menschen mit der Erkenntnis vereinigen, dass Jahrmillionen vergingen, ehe der Mensch in der Schöpfung erschien, dann können wir nicht mehr an den alten apokalyptischen Vorstellungen festhalten, die das Schicksal des Menschen, der Menschheitsgeschichte und des Kosmos in einem eschatologischen Ereignis miteinander verbindet. Das spätjüdische und urchristliche apokalyptische Hoffnungsbild, kann so, wie es gemeint war, nicht aufrechterhalten werden. Schon im NT hat man begonnen, sich davon zu entlasten: wenn nach Johannes Christus hingeht und den Seinen eine Stätte bereitet, um sie zu sich zu nehmen (14,2f), wenn im Hebr das wandernde Gottesvolk in die himmlische Ruhe eingeht, wenn Paulus bekennt, er habe Lust, abzuscheiden und bei Christus zu sein (Phil 1,23) (173f).


Für den christlichen Glauben ist die Hoffnung darin begründet, dass Gott uns hier in diesem Leben seine Gemeinschaft, Liebe und Gnade gewährt und dass wir hoffen dürfen, dass diese Gemeinschaft im Tod nicht ihre Grenze und ihr Ende findet. Gott lässt die Seinen auch im Tod nicht (175f).


Paul Gerhardt (370): 'Warum sollt ich mich denn grämen? Hab ich doch Christus noch, wer will mir den nehmen? Wer will mir den Himmel rauben, den mir schon Gottes Sohn beigelegt im Glauben? 12) Du bist mein, weil ich dich fasse und dich nicht, o mein Licht, aus dem Herzen lasse. Lass mich, lass mich hingelangen, da du mich und ich dich ewig werd umfangen'. In dem Einswerden mit dem Willen Gottes ist die Gottesferne aufgehoben. So wie Gott seinen Sohn, den er in die tiefste Erniedrigung gab, nicht im Tod ließ, sondern sich zu ihm bekannte, so dürfen auch wir hoffen, dass er uns nicht lassen wird. Wir sind zwar nicht seinem Sohn gleich, aber wir sind doch seine Kinder. Dass der Sohn und die Kinder zusammengehören, davon zeugt das NT auf mannigfache Weise. Die Hoffnung des einzelnen, die von der Gemeinschaft ausgeht, die uns Gott hier und jetzt schon im Glauben gewährt, dass er diese Gemeinschaft durchhält und uns auch im Tod nicht lässt, das ist unsere Hoffnung. Wir hoffen, dass die Gemeinschaft, die hier nur bruchstückhaft ist, sich im Tod vollendet (179f).


Ein Gesamtbild der Zukunft ist nicht möglich, wenn auch wahrscheinlich ist, dass die

Menschheitsgeschichte vor der Erdgeschichte enden wird und die Geschichte des Kosmos alles überdauern wird. So wie wir das Werden der Welt in Jahrmillionen mit dem Gedanken an Gott den Schöpfer verbinden, so auch die Zukunft der Welt in Jahrmillionen (181).


Der Glaube kann nicht ohne Hoffnung sein. Dass Gott unsere Hoffnung ist und Christus als die Liebe in ihr ihren Platz hat, wird dabei im Mittelpunkt stehen. Mit Gott und Christus ist ein Reich gegeben, in dem die Dunkelheiten dieser Welt überwunden sind und das Nichtseinsollende nicht mehr ist. Der Glaubende hofft auf ein Reich, das unter der Macht Gottes und unter der Liebe Christi steht (186).

 

H. Graß (1969)

6. Unsere Hoffnung ist allein Christus

Es gibt keine selbstständigen 'letzten Dinge' außer und neben ihm, dem Letzten. Es gibt keine diffuse, sondern nur die auf ihn konzentrierte eine Hoffnung. Die Zukunft ist allein in Jesus Christus wirklich. Bei Barth handelt es sich um eine notwendige Entmythologisierung der ntl Eschatologie. Mit Recht sagt Barth, dass jenseits des Sterbens sofort Gott der Schöpfer bzw. Jesus Christus eingreift (205f).


Bultmann hat eine Reihe von Gründen für die Entmythologisierung der Eschatologie geltend gemacht: das veränderte Welt- und Geschichtsbild, den Tatsachenbeweis der Geschichte, die die urchristliche Naherwartung nicht bestätigte, die Uneinheitlichkeit der eschatologischen 

Vorstellungen im NT, die sich gegenseitig relativieren, zudem nichts spezifisch Christliches sind, sondern aus der jüdischen Apokalyptik oder der Gnosis stammen, den stufenweisen Abbau der apokalyptischen Eschatologie im NT, der bei Johannes beendet ist. Die Entmythologisierung ist bereits ein Anliegen des NTs selbst (208).


Der Gedanke kann von uns nicht mehr nachvollzogen werden, dass das Ende der Menschheitsgeschichte und das Ende der Welt in einem Akt zusammenfallen, wie es die endgeschichtliche Eschatologie annimmt. In der Frage des Ursprungs der Welt und des

Menschengeschlechts hat sich die Theologie längst von der mythologischen Vorstellung gelöst, dass beides im Vollzug eines Schöpfungsaktes geschehen sei. Wir vereinigen den Glauben an Gott, den Schöpfer der Welt und des Menschen, mit der Erkenntnis, dass Jahrmillionen vergingen, ehe der Mensch in der Schöpfung erschien. Hinsichtlich des Ausgangs der Welt dagegen glaubt man immer noch an den alten mythologischen Vorstellungen vom gleichzeitigen Ende der Geschichte und des

Kosmos festhalten zu dürfen. Durch den krampfhaften Versuch, das ewige Schicksal des Menschen mit dem Schicksal der Menschheitsgeschichte und beides mit dem Schicksal des Kosmos in einem eschatologischen Ereignis zu verbinden, wird nicht der Kosmos in die Geschichte einbezogen, sondern die Geschichte und die Zukunft des Menschen mit einer kosmologischen Hypothek belastet (217f).


Wenn wir die Zukunft des Menschen abgesehen von der Zukunft der Welt betrachten, d.h. eine Jenseitseschatologie abgesehen von einer endgeschichtlichen Eschatologie ins Auge fassen, so unternehmen wir damit nichts Neues. Wir können uns dafür auf eine reiche Glaubens- und Lehrtradition der Kirche berufen. Zwar sind die Zeugnisse des NTs für diese Jenseitseschatologie spärlich: außer Phil 1,21ff und 2Kor 5,1ff könnte man allenfalls noch Lk 23,43 und 16,22 nennen. Auch wäre zu fragen, ob nicht das johanneische Hoffnungsbild Zeugnisse für eine Jenseitseschatologie enthält, z.B. Joh 14,2f; 12,32; 17,24; 11,25f; 1Joh 3,2. Jenseits der Grenze des NTs spielt diese Form der Hoffnung jedenfalls eine große Rolle. Auch Luther spricht nicht nur vom Jüngsten Tag, sondern auch von der ewigen Seligkeit der in Christus Verstorbenen schon jetzt im Himmel. In verstärktem Maß gilt das von Calvin und von der altprotestantischen Orthodoxie. In den Sterbe- und Ewigkeitsliedern der Kirche herrscht die Jenseitseschatologie vor. Für uns ist der eigene Tod und die Frage, was dann sein wird, 'realer', existenzbetreffender als das Ende der Welt und der Hereinbruch des Reichs, in dessen unmittelbarer Erwartung das Urchristentum lebte. Die Präponderanz der individuellen vor der universalen Hoffnung kommt auch deutlich in der Begründung und Methode der Eschatologie zum Vorschein. Wenn man die Hoffnung in der uns hier schon gewährten, aber noch nicht vollendeten Gemeinschaft mit Gott und Christus begründet, dann fragt es sich, ob man von da aus zu den biblischen Hoffnungsgedanken kommt. Die ntl Eschatologie ist nicht aus der in Christus geschenkten Heilsgegenwart und Heilsgemeinschaft erwachsen. Sie ist aus dem Spätjudentum übernommen. Dieses Erbe wurde mit der erfahrenen Christusbegegnung kombiniert. Die im Glauben erkannte Wirklichkeit Christi samt der in ihr beschlossenen Hoffnung muss zum kritischen Prinzip der biblischen Hoffnungsgedanken werden, vor allem, wenn es unabweisbar geworden ist, dass diese Gedanken mythologischen Charakter haben. Es gibt keine Möglichkeit, von der uns hier und jetzt im Glauben gewährten Gemeinschaft mit Christus das biblische Hoffnungsbild in all seinen wesentlichen Zügen wiederzugewinnen. Was sich von hier aus gewinnen lässt, ist die Hoffnung auf ein ewiges Leben, also eine Jenseitseschatologie (219-221).


Paulus versichert den Thessalonichern (1Thess 4,13ff), dass die Entschlafenen beim Eintritt der eschatologischen Ereignisse nicht benachteiligt sein werden, setzt dabei aber voraus, dass das Ende alsbald kommen wird. Der Zustand der Entschlafenen ist also nur von kurzer Dauer und deshalb erträglich. Mit dem Wegfall der Naherwartung büßen diese Gedanken ihre tröstende Kraft ein. Nun setzten Reflexionen über den Zwischenzustand zwischen Tod und Auferstehung ein. Man versucht sich diesen Zustand als friedlichen Schlaf in der Hut des Herrn vorzustellen. Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entschlafenen nicht beim Herrn sind. Die Gemeinschaft, die Gott dem Glaubenden in diesem Leben schon schenkt, das Sterben in dem Herrn, die Zuversicht, mit der wir unsere Sterbenden in Gottes Hand befehlen und uns ihres Loses getrösten, kann mit diesem Nicht-mehr-Sein auf keine Weise in Einklang gebracht werden. Der Gedanke eines Zwischenzustandes zwischen Tod und allgemeiner Auferstehung macht Gott zu einem einsamen Gott: keine Gemeinde der Seligen umgibt ihn. Christus hat seine Gemeinde nur hier auf Erden, nicht aber unter denen, die er aus diesem Leben abberief. Das alles deshalb, weil es keine Auferstehung vor dem Jüngsten Tag geben soll, keine individuelle Hoffnung vor der universalen. Dem Urchristentum ist das nur deshalb nicht zum Bewusstsein gekommen, weil es an die unmittelbar bevorstehende Erfüllung der universalen Hoffnung glaubte. Die Kirche aber, die das Nichteintreten der Naherwartungen erfuhr, hat mit Recht aus dem Glauben an Gott und Christus und der Gemeinschaft mit ihnen hier und jetzt eine individuelle Hoffnung entfaltet. Bei dem 'Abscheiden und bei Christus sein' und der Auferstehung am Jüngsten Tag handelt es sich um einen Widerspruch zwischen zwei Endvorstellungen, zwischen denen man wählen muss. Man kann diesem Wählen nicht durch einen Kunstgriff mit dem Zeitbegriff ausweichen (224f).


Kann und darf der christliche Glaube auf die Parusie verzichten? Im Joh-Ev spielt die Parusie keine Rolle, alles konzentriert sich hier auf den ins Fleisch Gekommenen. Der Christushymnus Phil 2,5ff zieht den Bogen von der himmlischen Seinsweise Christi über die Erniedrigung zur Erhöhung, erwähnt aber die Parusie nicht, sondern schließt mit der Aufforderung an alle Kreaturen, den Erhöhten anzubeten. Eine Himmelfahrtsgeschichte kennt nur Lukas. Auch wissen wir heute, dass die christlichen Parusievorstellungen anfänglich nicht nach dem Schema erste Ankunft und zweite 'Wieder'kunft gedacht waren, sondern die Herabkunft des Messias-Menschensohns meinten. Die christologische Konzeption von dem vom Himmel gekommenen Gottmenschen, der nach vollbrachtem Erlösungswerk wieder in den Himmel zurückkehrt und von dort am Ende der Tage wiederkommen wird, ist keineswegs so einheitlich, dass ein Glied aus dem anderen mit zwingender Notwendigkeit folgt. Der christliche Glaube wird nicht dadurch verletzt, wenn man annimmt, dass wir Christus im Tod begegnen und ihn hier als Herrn erkennen lernen (226f).


Die Jenseitseschatologie ist insofern nicht individualistisch, als der Erlöste in den Kreis der vor ihm und mit ihm Erlösten eintritt. Das ewige Leben ist Leben in Gemeinschaft, Leben in einer himmlischen Ecclesia, die auch ihren Dienst haben wird. Der schaffende, allwirksame Gott wird die, die er vor sein Angesicht gerufen hat, nicht müßig sein lassen, auch wenn wir uns nicht vorstellen können, worin im einzelnen dieser Dienst besteht (227).


Das Eintreten für eine Jenseitseschatologie ist durch die Erkenntnis bedingt, dass die endgeschichtliche Eschatologie unhaltbar geworden ist. Die Forderung nach einer 'Entmythologisierung' ist unausweichlich (228).


 

7. Hellenistische Eschatologie

(1) Die wahre Welt des vollen Heils ist bei Gott, im Himmel vorhanden

(2) Individuelle Eschatologie im Lk Ev und in der Apg

(3) Die jüdische Vorstellung vom himmlischen Paradies, dem Aufenthaltsort der verstorbenen Gerechten und Väter.


N. Walter (1985)

(1) Die wahre Welt des vollen Heils ist bei Gott, im Himmel vorhanden: Für hellenistisch-eschatologisches Denken ist das ‘obere’, ‘himmlische’ Jerusalem die eigentliche, wahre, wesentliche und ewige Wirklichkeit, das untere, irdische Jerusalem bestenfalls sein Abbild und ‘Schatten’ (Hebr 8,5), ein vorläufiger, vergänglicher Gegentyp von minderer Realität. Die Sehnsucht der Frommen richtet sich darauf, in das ewige, himmlische Jerusalem - d.h. in den Himmel Gottes selbst - eingehen zu dürfen (Hebr 12,22). Die hellenistische Eschatologie ist eine ‘Oben/Unten-Eschatologie’, eine ‘vertikale’ Eschatologie (341).


Für apokalyptische Theologie ist das himmlische Jerusalem ein Provisorium, das erst dann zur heilvollen Realität gelangt, wenn es nach der Katastrophe der jetzigen Welt auf die Erde kommt(Apk 21). Für die Apokalyptik ist der Gedanke an eine kosmische und geschichtliche Katastrophe, der dann erst Gottes Neuschöpfung folgt, konstitutiv. Es geht um eine

‘temporalfuturische’ Eschatologie. Das ‘Jetzt/Dann’ ist im Sinne einer irdisch-geschichtlichen Aufeinanderfolge zweier Äonen gemeint (340f).


 

Das ‘vertikale’ eschatologische Denken ist Paulus nicht fremd: “Wir wissen, wenn unser irdisches Haus, diese Hütte abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel... Solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern von dem Herrn... Wir haben Lust, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn” (2 Kor 5,1ff). In 1 Kor 15,35ff denkt Paulus wesentlich in den Kategorien von ‘vergänglich/unvergänglich’. Er versucht seine Vorstellung von einer Quasi-Leiblichkeit zu beschreiben: “es gibt himmlische Körper und irdische Körper... Der erste Mensch ist von der Erde und irdisch; der zweite Mensch ist vom Himmel und wie der irdische ist, so sind auch die irdischen; und wie der himmlische ist, so sind auch die himmlischen. Und wie wir getragen haben das Bild des irdischen, so werden wir auch tragen das Bild des himmlischen”.Wir sehen nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig” (2Kor 4,18). “Paulus war “entrückt bis in den dritten Himmel” (2Kor 12,3). “Unsere Heimat ist in den Himmeln” (Phil 3,20). “Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre” (Phil 1,23) (342f).


 

1Thes 4,13-18: Paulus entwickelt hier die Vorstellung von einem Entrücktwerden der 

Glaubenden von der Erde weg in die ‘Luft’ und von einem himmlischen Vereinigtwerden mit Christus. Da Paulus auch sonst nirgends eine Aussage über die irdisch-kosmische Endkatastrophe und eine Neuschöpfung, in die die Weltgeschichte einmünden würde, macht, ist auch für 1Thes 4,13ff eine Vorstellung denkbar, nach welcher die Glaubenden im Zusammenhang mit der Parusie des Herrn (V15) in die himmlische Heimat eingehen. Parusieerwartung im Sinne des Paulus lässt sich als Erwartung eines ‘End’-Geschehens denken, das die Glaubenden nach ‘oben’, in das himmlische Reich Gottes bringt (343f).


Die eschatologische Heilsverkündigung des Kol ist an der hellenistischen Entgegensetzung von Oben und Unten, von Himmel und Erde orientiert (344): Kol 3,1-3 Ihr seid schon in den Himmel versetzt; ihr seid mit Christus auferstanden; und so ist euer Leben schon jetzt, wenn auch in verborgener Weise ein himmlisches Leben, ein Leben bei Gott. Darum könnt und sollt ihr schon jetzt himmlisch gesinnt sein, auch wenn die öffentliche Darstellung dessen, dass es sich so verhält, dass ihr schon in die Welt Gottes eingebürgert seid, noch aussteht und erst zusammen mit dem Erscheinen Christi offenbar werden wird. Die irdische Wanderung hat ein Ziel außerhalb der irdischen Welt - bei Gott, in seiner himmlischen Welt. Dieses Ziel ist das ‘Hoffnungsgut’, “das für euch in den Himmeln bereitliegt” (Kol 1,5). Obwohl die entscheidende Weltwende schon geschehen ist, wird von der Zukunft noch die öffentliche Kundmachung dieses jetzigen Geheimnisses erwartet. Der Kol versteht unter dem erhofften Sichtbarwerden dies, dass der Himmel als der Ort ’unseres Lebens’ (3,3) offenbar werden wird, und damit das, was wir jetzt verborgenerweise schon als ‘unser Leben’ haben: Christus (3,4). Das Reich Gottes befindet sich nach Kol 3,1f nicht auf der Erde, sondern im Himmel (345f).


 

Die Zeitvorstellung von einem Handeln Gottes in einer irdisch, weltlich-geschichtlichen Zukunft wird abgelöst durch eine Raumvorstellung (347): “In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen... Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin” (Joh 14,2f). “Heute (aus dem jetzt vor Augen stehenden Tod heraus) wirst du mit mir im Paradiese sein” (Lk 23,43). Damit ist die Vorstellung einer himmlisch bereitstehenden ‘Wohnung’ gemeint wie in Joh 14,2f.

Wir haben ihn sagen gehört: ich werde diesen ‘mit Händen gemachten’ Tempel niederreißen und in drei Tagen einen anderen, nicht ‘mit Händen gemachten’, erbauen” (Mk 14,58). Die Formulierung ‘nicht mit Händen gemacht’ zeigt die hellenistische Hochschätzung des himmlischen als des eigentlichen Tempels zu Ungunsten seines irdischen, vergänglichen und daher entbehrlichen Abbildes. Jesus selbst wird in dieser Weise nicht gesprochen haben, zumal Lk diesen Text gestrichen hat und bei Mt 26,61 diese herausgehobenen Worte fehlen (Apg 7,48; 17,24) (350).


Der wichtigste Zeuge einer ausgesprochen hellenistischen Eschatologie im NT ist der Hebr. Der

Glaubende hat die Vollendung seines Heils noch vor sich, verbunden mit der Gewissheit, dass dieses Heil im Grundsätzlichen bereits verwirklicht ist und dass dieses schon verwirklichte Heil im Himmel - als dem Ziel des ‘Laufes’ der Glaubenden (12,1) - seit der Erhöhung Christi bereitsteht (351).


Der Hebr ist eine fundamental hellenistische Schrift. In christologischer Hinsicht spricht er ausschliesslich von der Erhöhung Jesu zur Rechten Gottes (Ps 110,1) und von seinem Eingehen in den Himmel bzw. in das Allerheiligste des himmlischen Tempels. Gerade dieses Geschehen - der Überschritt Jesu aus seiner irdischen Existenz durch das Leiden und Sterben in den Himmel - ist das ein-für-allemal gültige, vollgenugsame Heilsgeschehen, bei dem nichts mehr fehlt, nichts ergänzungsbedürftig ist (es ist ja himmlisches Geschehen) und an dem die Glaubenden jetzt schon

Anteil haben. Dabei ist nach der Vorstellung des Hebr der himmlische Tempel vor aller irdischen

Schöpfung geschaffen, als Urtyp aller irdischen, in ihrer Wirkung nur sehr begrenzten

Heilsmöglichkeiten im Kult am irdischen Tempel in Jerusalem. Die himmlische Ruhe steht seit 

Ewigkeit bereit, die Frommen aufzunehmen. Die himmlische Welt ist die eigentliche, beständige von Gott als Ort des Heils zubereitete ‘Welt’, dergegenüber das Irdische nur der Ort vorläufiger Existenz und abgeschwächter Heilsmöglichkeiten ist, der nur ein ‘Schatten’ der himmlischen Güter aufweisen kann (10,1; 8,5). Christi ewiger himmlischer ‘Kultdienst’ am himmlischen Heiligtum (7,24f; 8,2) besteht, nach der grundlegenden Opferdarbringung bei seinem Eintritt in den Himmel, in dem beständigen Eintreten für die Seinen. Eine auf die weiterlaufende irdische Geschichte bezogene Funktion hat er nicht. Das “Sitzen zur Rechten des Herrlichkeits-Thrones” (8, 1) meint im Sinne des Hebr keine aktive Teilhabe an Gottes Weltregiment. Von der Welt und innerhalb der irdischen, menschlichen Geschichte wird kein Heil erwartet. Die Welt wird betrachtet als Durchgangsland, als Ort der Wanderung auf das ewige Ziel der himmlischen Ruhe zu (352f).

Die geschichtliche Sicht im Hebr bezieht sich nur auf das Irdisch-Vorläufige, sofern eben jeder auf Erden lebende Mensch bis zu seinem Tode der irdischen Geschichte verhaftet ist und deshalb das offenbare Heil, seine volle Anteilhabe am Heil noch vor sich hat und darauf zugeht. Die wahre Welt des vollen Heils ist bei Gott, im Himmel, vorhanden (353f).

Der Hebräerbrief: Der Tod ist Durchgang zur himmlischen Welt. Die Glaubenden sind Gäste und Fremdlinge auf Erden. Die sichtbare Welt ist nur ein schwaches Abbild der unsichtbaren Welt.

Urbild

Abbild

himmlisches Heiligtum

irdisches Heiligtum

künftige Stadt

hiesige Stadt

unsichtbare Welt

sichtbare Welt

das himmlische Vaterland

das irdische Vaterland

1,6: Anlässlich seiner Erhöhung wurde Christus als Erster von den Toten in die himmlische Welt eingeführt und hat so den Weg dorthin für alle Toten gebahnt.

10,36: Das verheißene Gut der Rettung besteht nicht in der Parusie Christi auf Erden, sondern im Einzug in das himmlische Allerheiligste.

12,25-29: Die Wirklichkeit zerfällt in den Bereich des Erschütterlichen und den Bereich des

Unerschütterlichen. Das Erschütterliche ist von Gott geschaffen, von unentwegtem Werden und Vergehen geprägt und kann jederzeit wieder vollständig vergehen. Dagegen ist das Unerschütterliche ungeschaffen und bleibt ohne Veränderung in seinem Sein bestehen. Inbegriff des Erschütterlichen ist die Erde und alles Irdische, des Unerschütterlichen hingegen der Himmel und alles Himmlische. Der Unerschütterliche ist Gott selbst, dem Christus als Sohn Gottes zugehört.

9,26-28: Zum ersten Mal war Christus den Menschen auf Erden in seiner Inkarnation erschienen. Zum zweiten Mal wird er ihnen beim Gericht erscheinen.


 

(2) Individuelle Eschatologie im Lk Ev und in der Apg

J. Dupont: Ein “unvergänglicher Schatz in den Himmeln” (Lk 12,33)

Die Parabel vom törichten Reichen (Lk 12,16-21) und die anschließenden Mahnungen (Lk 12, 22-34) Die Torheit des Reichen besteht nicht so sehr darin, dass er nicht an den Tod gedacht hat, sondern, dass er sich nicht darum gekümmert hat, was nach dem Tode kommt. Er übersah die Möglichkeit, seinen Reichtum für sein Glück im Jenseits auszunützen: "So geht es dem, der für sich Schätze sammelt und sich nicht auf Gott hin bereichert hat" (V21). Der Ausdruck “sich auf Gott hin bereichern” entspricht der Mahnung, “sich einen unvergänglichen Schatz in den Himmeln” zu sammeln. Das Mittel, “sich auf Gott hin zu bereichern”, besteht darin, “seine Habe zu verkaufen und sie als Almosen zu verteilen” (V33). Lukas bezeichnet die Schätze, die man im Himmel durch das Verteilen seiner Güter an die Armen erwirbt, als “unvergänglich”. Dieses Adjektiv entspricht dem, was 16,9 von dem Augenblick sagt, in dem das Geld “ausgeht”. Dieser Augenblick ist der Tod. Der Jünger Jesu muss sich um den Schatz sorgen, der ihm im Himmel, bei Gott, zur Verfügung steht, wenn “seine Seele von ihm zurückgefordert wird” (V20) (38f).


Indem Lukas die Sentenz: “Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater gefallen, euch das Reich zu geben” (V32) in diesen Kontext einfügt, scheint er sie so zu verstehen, dass das Reich jedem Jünger im Augenblick seines Überganges in das andere Leben gegeben werden soll. Diese Verheissung kann mit der Mahnung in Zusammenhang gebracht werden: “Wir müssen durch viele Drangsale in das Reich Gottes eingehen” (Apg 14,22). Bei den Drangsalen handelt es sich um

Schwierigkeiten aller Art, mit denen der Christ inmitten einer feindlichen Welt zu kämpfen hat. Der

Text erinnert an die lkn Formel: “Musste nicht Christus leiden, um in seine Herrlichkeit einzugehen” (24,26)? Diese Parallele und auch der von Lukas vertretene individuelle Gesichtspunkt sprechen für die Auffassung, dass mit dem “Eintritt in das Reich” der Augenblick des Todes gemeint ist. Der Eintritt in das Gottesreich Apg 14,22b wird in Apg 20,32 zum Empfang des “Erbes unter den Geheiligten”. Der individuelle Gesichtspunkt der Rede und das Fehlen jeglicher Bezugnahme auf die Zukunftseschatologie lassen es wahrscheinlich erscheinen, dass Lukas den Ausdruck mit dem Tod des Christen in Zusammenhang bringt: für diesen Augenblick erhofft er die Teilnahme am Glück der Erwählten (39f).


 

Lukas ändert Mk 13,13b: “Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden” in “durch eure Standhaftigkeit gewinnt ihr euer Leben” (Lk 21,19). Lukas liess die Worte “bis ans Ende” aus, da sie mit dem unberechenbaren Weiterdauern der Geschichte unvereinbar sind. Er setzt anstelle des “Ausharrens bis ans Ende” die Aufforderung, bis zum Tode auszuharren. Der Gedanke an den Verlust des Lebens erinnerte ihn unwillkürlich an die Verheißung: “Wer sein Leben verliert, der wird es gewinnen” (Lk 17,33). Das eschatologische Heil wird durch ein Heil abgelöst, das sich durch den Tod hindurch verwirklicht, und zwar gerade in jenem Augenblick, in dem die Standhaftigkeit des Christen im Opfer seines Lebens gipfelt (40).

Lukas ändert Mk 12,26: “Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs”. Die

Aussage wird nicht mehr Gott, sondern Mose in den Mund gelegt. Lukas sieht darin nur mehr eine

Andeutung: “Dass aber die Toten auferweckt werden, hat Mose ... angedeutet” (Lk 20,37f). Er fügt der Erklärung “Er ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden”, eine neue Verdeutlichung hinzu: “Denn alle leben für ihn”. Ein Äquivalent zu dieser Begründung finden wir in 4 Makk 7,19; 16,25, wo von dem Tod der jüd. Märtyrer unter Antiochus Epiphanes gesprochen wird: “Sie glaubten, dass sie wie die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, nicht für Gott sterben, sondern für ihn leben würden. Sie wussten auch, dass alle die um Gottes willen sterben, für Gott leben, so wie Abraham, Isaak, Jakob und alle Patriarchen”. Das Thema ist die Unsterblichkeit. Die in der Freundschaft mit Gott starben, besitzen jetzt schon das Leben. Lukas schreibt nicht: “Alle werden für Gott leben”, er spricht von etwas Gegenwärtigem: “Alle leben für ihn”. Die Perspektive des Fortlebens nach dem Tod tritt an die Stelle der eschatologischen Perspektive der Auferstehung am Ende der Zeiten (40f).


Lk 12,4f fügt gegenüber Mt 10,28 eine Reihe von Verdeutlichungen hinzu: “Ich aber sage euch, meinen Freunden: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und nachher nichts Weiteres tun können! Ich will euch aber zeigen, wen ihr fürchten müsst: Fürchtet den, der Macht besitzt, nachdem er getötet hat, in die Gehenna zu werfen. Ja, ich sage euch: Den fürchtet”. Dieser Text ist eindringlicher. Indem Lukas die Ausdrücke “die Seele töten” und “den Leib verderben” korrigierte, lenkt er gleichzeitig seine Aufmerksamkeit auf das, was nach dem Tod geschieht. Dies geht klar aus den beiden redaktionellen Zusätzen “nachher” und “nachdem er getötet hat” hervor. Der Gott, der den Sünder nach seinem Tode in die Gehenna verbannen kann, kann ebenfalls jenen Jüngern, denen die Verfolger das Leben raubten, das Heil schenken, und zwar unmittelbar nach ihrem Tod (41).


 

Die “Freunde”, die euch “in die ewigen Zelte aufnehmen” (Lk 16,9)

Die Parabel vom klugen Verwalter (Lk 16, 1-13) bildet die Antithese zu der Geschichte vom törichten Reichen (12,16-20). Die Bemerkung V 8a: “Er hat klug gehandelt” kontrastiert mit dem Vorwurf 12,20: “Du Tor”!. Der V 9 spricht von dem Augenblick, in dem das Geld “ausgeht” und erinnert so an die “unvergänglichen Schätze” (12,33). Der Text besitzt im Rahmen des Lk Ev keine eschatologische Perspektive. Der wahre Abschluss der Parabel findet sich in V 9: “Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit sie euch, wenn er euch ausgeht, in die ewigen Zelte aufnehmen”. In V 4 und in V 9 geht es um jene, die man sich durch Verteilen des “Mammons der Ungerechtigkeit” zu Freunden gemacht hatte. Es geht um eine Mahnung zum Almosengeben. Die Freunde sind die Armen, denen Almosen gegeben wurden. Sie treten an die Stelle der “unvergänglichen Schätze”, von denen in 12,33 die Rede war. Der Zeitpunkt, in dem das Geld “ausgeht” und in dem es gut sein wird, Freunde zu haben, die in die ewigen Zelte aufnehmen, entspricht jenem Augenblick, in dem der Verwalter seines Amtes enthoben wird (V 4). Das Bild passt zum individuellen Tod, wenn der Mensch von der Verwaltung seiner Güter enthoben wird, die ihm anvertraut waren. Das Geld, das “ausgeht”, steht im Gegensatz zu jenen “unvergänglichen Gütern” in 12,33. Es entspricht gleichzeitig den vom törichten Reichen aufgehäuften Gütern, die wegen seines Todes anderen zufallen werden 12,19f. Dem Beispiel des klugen Verwalters wird der Fall des törichten Reichen gegenübergestellt, der für die Zukunft nicht voraussorgte. Im Augenblick des Todes muss man in die ewigen Zelte aufgenommen werden. Dann kommt alles darauf an, einen unvergänglichen Schatz zu besitzen (42f).


 

Der V 14 von den “geldgierigen” Pharisäern stellt einen Übergang zur Parabel vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lk 16,19-31) her. Der Reiche stellt das Bild eines “geldsüchtigen” Menschen dar. Der erste Teil (19-26) erklärt das Geschick, das dem Reichen zufiel: “Kind, denke daran, dass du in deinem Leben dein Gutes empfangen hast und Lazarus das Schlechte. Jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest Pein”. Während in der synoptischen Tradition das Wort “Leben” stets das “ewige Leben” bezeichnet, bezieht es sich hier (wie 12,15) auf die irdische Existenz, die im Augenblick des Todes endet. Da beginnt eine Zeit, die zum “Jetzt” für den Reichen wie für den armen Lazarus wurde; ein “Jetzt”, dessen Bedingungen jenen des “Lebens” diametral entgegengesetzt sind. Der Arme, der schon seinen Anteil am Schlechten hatte, erfreut sich jetzt vollkommener Seligkeit. Der Reiche, der alle Vorteile seines Reichtums genoss, darf sich über die Leiden, die über ihn hereinbrechen, nicht wundern.

Sein trauriges Geschick ist um so unabänderlicher, als seine Geldsucht ihn daran hinderte, sich in der Person des Lazarus einen Freund zu erwerben, der ihm vielleicht in der anderen Welt hätte helfen können. Die neuen Lebensumstände des Armen und des Reichen ereignen sich unabhängig von jeglichem eschatologischen Geschehen (43f).

Die Erklärung, die Abraham dem Reichen gibt (V25), entspricht der lkn Fassung der Seligpreisungen und Weherufe in 6, 20-26. Viermal fügt Lukas das Adverb ‘jetzt’ hinzu: “Selig, die ihr jetzt hungert, die ihr jetzt weint. Wehe euch, die ihr jetzt satt seid, die ihr jetzt lacht”. Die Zeit des ‘Jetzt’ entspricht jener, die durch die Worte (V25): “während deines Lebens” definiert wird. Es geht um die irdische Existenz des Menschen im Gegensatz zu einem “danach”, mit dem nur das Jenseits des Todes gemeint sein kann. Der Trost, der jenen verheißen wird, die “jetzt” leiden, scheint ihnen bei ihrem Übergang in das Jenseits geschenkt zu werden. Das furchteinflößende “danach” wird sofort beim Scheiden aus diesem Leben beginnen. Diese Texte erhalten ihren wahren Sinn nur in der Perspektive der individuellen Eschatologie (44).


Heute wirst du mit mir im Paradies sein” (Lk 23,43)

Der gute Schächer bekennt zuerst die Unschuld Jesu (V41). Dann betet er: “Jesus gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst” (V 42). Er bekennt dadurch sowohl die Messianität Jesu als auch seine Rettermacht in einer eschatologischen Perspektive, denn diese Bitte bezieht sich auf die Parusie. Jesus antwortet ihm: “Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein”. Die dem Schächer gegebene Verheißung stellt an die Stelle einer endzeitlichen Hoffnung eine, die unmittelbar vor ihrer Erfüllung steht: das Heil, das der Schächer für das Ende der Zeiten erbittet, wird ihm heute noch, im Augenblick seines Todes, zuteil werden. Lukas Interesse am individuellen Heil macht ihn aufmerksam für die endgültige Wende, die für den einzelnen bei seinem Tod eintritt. In diesem Augenblick wird sein Geschick unwiderruflich festgelegt. Das des guten Schächers wird das gleiche sein wie jenes des armen Lazarus in der Parabel, der in den Schoss Abrahams getragen wurde (16,22) (45).


Das Geschick des guten Schächers, der unmittelbar nach dem Tod in das Paradies aufgenommen wird, kann nach Apg 1,25 jenes des Judas gegenübergestellt werden: Er verliert sein Apostelamt, um “an seinen Ort zu gehen” d.h. in die Gehenna. 1Clem 5,4 schreibt, dass Petrus, nachdem er sein Zeugnis abgelegt hat, “sich an den Ort der Herrlichkeit begab, die ihm zukam”. Lohn und Strafe folgen unmittelbar auf den Tod, abgesehen von den Ereignissen am Ende der Zeiten (46).

Lukas stellt in diesen Texten keine Beziehung zwischen der individuellen und der kollektiven Eschatologie her. Die individuelle Eschatologie hat sich bei Lukas verselbständigt. Sie führt zu einer gewissen Relativierung der kollektiven Zukunft und der Ereignisse, die das Ende der Welt bezeichnen. Für den einzelnen wird die Zukunft der Welt zur Gegenwart in seinem Tod (46f).

 

(3) Die jüdische Vorstellung vom himmlischen Paradies, dem Aufenthaltsort der verstorbenen Gerechten und Väter

In diesem Vorstellungsmodell gibt es keine Parusie, weil die Christen im Tode zur

Christusgemeinschaft in den Himmel gerettet werden. Auch gibt es kein Endereignis, denn die neue Welt ist im himmlischen Bereich bereits gegenwärtig.

Der Heilsort im Himmel:

der Kleinste im Himmelreich” “ihr werdet nicht in das Himmelreich kommen” (Mt 5,19f). “Es werden nicht alle .... in das Himmelreich kommen” (Mt 7,21). “viele werden mit Abraham .... im Himmelreich zu Tisch sitzen” (Mt 8,11). “Der Kleinste im Himmelreich ist größer als er” (Mt 11,11). “Wer ist der Größte im Himmelreich” (Mt 18,1.4)? “es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden” (Mt 5,12., Lk 6,23) “in meines Vaters Hause sind viele Wohnungen... Ich gehe hin euch die Stätte zu bereiten” (Joh 14,2). “Ich kenne einen Menschen, der wurde entrückt bis in den dritten Himmel... Der wurde entrückt bis in das Paradies” (2Kor 12,2). “Der Herr wird mich erlösen von allem Übel und mich retten in sein himmlisches Reich” (2Tim 4,18). “...ein Erbe aufbewahrt im Himmel für euch” (1Ptr 1,4).

Die obere Stadt, das himmlische Vaterland:

Das himmlische Jerusalem” (Gal 4,26).

Abraham wartete auf die Stadt, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist“ (Hebr. 11,10.16). Sie sind „Gäste und Fremdlinge auf Erden“, denn „sie suchen ein Vaterland“ (Hebr 11,13f). „Sie sehnen sich nach einem besseren Vaterland, nämlich dem himmlischen. Gott hat ihnen eine Stadt gebaut“ (Hebr 11,16). „Ihr seid gekommen zu... der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem“ (Hebr 12,22). „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Hebr 13,14).

Im Paradies sind jetzt schon: alle Patriarchen, alle Propheten, alle Apostel, alle Märtyrer (unter ihnen Stephanus), alle Heiligen (1Thess 3,13), der arme Lazarus, der reumütige Schächer.Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein” (Lk 23,24). Der arme Lazarus wurde von den Engeln in Abrahams Schoss getragen (Lk 16,22). “...wenn ihr sehen werdet Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes, euch aber hinausgestoßen” (Lk 13,28). “Sie (die Märtyrer) schrien mit lauter Stimme: 'Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest Du nicht und rächst nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?' Und ihnen wurde gegeben einem jeden ein weißes Gewand...” (Offb 6,10f).

 

G. Lohfink:

Das Problem einer individuellen Eschatologie wurde erst akut, als in der Folgezeit Christen starben, ohne dass das wirkliche Ende gekommen war. Der damals herrschende Vorstellungshintergrund der jüdischen Apokalyptik ließ es nicht zu, von einer Auferweckung einzelner unmittelbar aus dem Tode zu sprechen. Denn für das jüdische Denken ist die Auferweckung der Toten ein universales Geschehen am Ende, wenn die Gräber geöffnet werden (143f).


 

8. Hoffnung auf die jenseitige Welt in Gesangbuchliedern

Folgende Gesangbuchlieder (und viele mehr) widersprechen dem Dogma von der 'leibhaften Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag' auf einer neuen Erde. Sie verkünden nicht eine kollektive sondern eine individuelle Eschatologie, ein postmortales Sein in der jenseitigen Welt des Himmels unmittelbar im Tod.


EG 112: Auf, auf mein Herz mit Freuden [..]

1: [..] mein Heiland war gelegt da, wo man uns hinträgt, wenn von uns unser Geist gen Himmel ist gereist.

EG 135: Schmückt das Fest mit Maien, [..]

7: [..] bis wir dort, du werter Hort, bei den grünen Himmelsmaien ewig uns erfreuen.

EG 204: Herr Christ, dein bin ich eigen [..]

4: [..] wirst mir dein Güt erzeigen auch in des Todes Not, dass sanft und still abscheide die Seel von meinem Leib zu dir in Himmels Freude und bei dir ewig bleib.

EG 249: Verzage nicht, du Häuflein klein [..]

5: Hilf, [..] dass uns dein guter Geist regier, auf ebner Bahn zum Himmel führ durch Jesus Christus,

Amen.

EG 324: Ich singe dir mit Herz und Mund [..]

12: Du füllst des Lebens Mangel aus mit dem, was ewig steht, und führst uns in des Himmels Haus, wenn uns die Erd entgeht.

EG 330: O dass ich tausend Zungen hätte [..]

7: Ach nimm das arme Lob auf Erden, mein Gott, in allen Gnaden hin. Im Himmel soll es besser werden, wenn ich bei deinen Engeln bin. Da sing ich dir im höhern Chor viel tausend Halleluja vor

EG 361: Befiehl du deine Wege [..]

12: [..] stärk unsere Füß und Hände und lass bis in den Tod uns allezeit deiner Pflege und Treu empfohlen sein, so gehen unsre Wege gewiss zum Himmel ein.

EG 393: Kommt, Kinder, lasst uns gehen [..]

10: Es wird nicht lang mehr währen [..] so kommen wir nach Hause, da wird man ewig ruhn, wenn wir mit allen Frommen heim zu dem Vater kommen; [..]

EG 399: O Lebensbrünnlein tief und groß [..]

5: [..] wenn wir [..] bedenken, der übergroßen Herrlichkeit und wunderschönen Himmelsfreud, die Christus uns wird schenken. Da, da wird er uns allzugleich in seines lieben Vaters Reich mit ewger Wonne tränken.

7: [..] der Himmel steht dir offen. [..] glaube fest, dass du noch hast das Allerbest in jener Welt zu hoffen.

EG 445: Gott des Himmels und der Erden [..]

7: Deinen Engel zu mir sende, [..] der auch endlich mich zur Ruh trage nach dem Himmel zu.

EG 446: Wach auf, mein Herz, und singe [..]

9: Mich segne, mich behüte, mein Herz sei deine Hütte, dein Wort sei meine Speise, bis ich gen Himmel reise.

EG 449: Die güldne Sonne [..]

12: [..] Freude die Fülle und selige Stille wird mich erwarten im himmlischen Garten; dahin sind meine Gedanken gericht'.

EG 478: Nun sich der Tag geendet hat [..]

8: Soll diese Nacht die letzte sein, [..] so führ mich, Herr, in' Himmel ein zur Auserwählten Zahl.

EG 503: Geh aus, mein Herz, uns suche Freud

9: [..] was will doch wohl nach dieser Welt dort in dem reichen Himmelszelt und güldnen Schlosse werden [..]!

10: Welch hohe Lust, [..] wird wohl in Christi Garten sein! Wie muss es da wohl klingen, da so viel 

tausend Seraphim mit unverdrossenem Mund und Stimm ihr Halleluja singen [..] 15: Erwähle mich zum Paradeis [..] so will ich dir [..] hier und dort ewig dienen [..]

EG 517: Ich wollt, dass ich daheime wär [..]

2: Ich mein, daheim im Himmelreich, da ich Gott schaue ewiglich. 12: [..] Ich fahr dahin gen Himmelreich.

EG 522: Wenn mein Stündlein vorhanden ist [..]

5: So fahr ich hin zu Jesus Christ [..], denn Jesus Christus, Gottes Sohn, der wird die Himmelstür auftun, uns führn zum ewgen Leben.

EG 524: Freu dich sehr, o meine Seele [..]

7: [..] Herr Christ bist du doch mein [..] Weg und Himmelspfort; du wirst selig mich regieren, die rechte Bahn zum Himmel führen.

EG 529: Ich bin ein Gast auf Erden [..]

6: [..] Ich wandre meine Straße, die zu der Heimat führt, da mich ohn alle Maße mein Vater trösten wird.

11: [..] du ziehst mich, wenn ich scheide, hin vor dein Angesicht ins Haus der ewgen Wonne, [..]

12: Da will ich immer wohnen [..] bei denen, die mit Kronen du ausgeschmücket hast; [..]

EG 531: Noch kann ich es nicht fassen [..]

3: [..] führ mich zum Himmelsthron; führ mich zu Freud und Wonne der Seligen im Licht [..]

EG 601: Hilf uns, Herr, in allen Dingen [..]

4: [..] lass uns [..] kommen in das Paradeis [..]



C. Die Unsterblichkeit der Seele

Die Seele ist unsterblich und ewig, weil sie der Teil ist, in den Gott den Geist gegeben hat

Der Unsterblichkeit der Seele ist die Voraussetzung für ein Gericht post mortem


 

1. Jenseits des Todes - Unsterblichkeit der Seele

2. Die Seele des Menschen und die Hoffnung der Christen

3. Die biblische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele


U. Swarat

1. Jenseits des Todes - Unsterblichkeit der Seele

Es gibt klare Schriftzeugnisse dafür, dass die Seele oder der Geist des Menschen nicht zusammen mit dem Leib stirbt. Am deutlichsten ist das bei Paulus in 2Kor 5,1-10. Der Apostel spricht dort vom Leib als dem „äußeren Menschen“, der eine Art Zelthaus oder eine Bekleidung für den „inneren Menschen“ darstellt. Im Tod wird dieses Haus abgebrochen und der Gläubige bekommt ein neues Haus, das Gott für ihn gemacht hat. Der Tod zieht uns Menschen den Leib, das jetzige Kleid, aus und Gott zieht uns dann ein neues himmlisches Kleid an. Sterben bedeutet für Paulus, „unseren Leib zu verlassen und beim Herrn zuhause zu sein“ (5,8). Er unterscheidet beim Sterben das Ich des Menschen von seinem Leib (vgl. Mt 10,28). In Kohelet 12,7 wird davon geredet, dass im Tod der Leib des Menschen wieder zur Erde wird, sein Geist aber zu Gott zurückkehrt (25).


Joseph Ratzinger bejaht die in der christlichen Tradition behauptete Unsterblichkeit der Seele, weil sie für ihn eine genuin christliche Aussage über das Wesen des Menschen in seiner Beziehung zu Gott darstellt. Der Mensch, sagt er, ist als Geschöpf Gottes in einer Relation erschaffen, die Unzerstörbarkeit einschließt. Er ist als ein Wesen geschaffen, das zur Gotteserkenntnis und Gottesliebe fähig und gerufen ist. Nicht ein beziehungsloses Selbersein macht den Menschen unsterblich, sondern die Offenheit seiner Existenz zu Gott als dem Grund seines Seins. Diese grundsätzliche Hinordnung zu Gott bleibt bestehen, auch wenn der Mensch sie vergisst oder negiert. Unsterblichkeit ist nicht nur erlösende Gnade, sondern Schöpfungsgabe, nämlich unzerstörbare Relation zu Gott im Sinne eines Dialogs zwischen Schöpfer und Geschöpf (31).


Es geht im Verhältnis zwischen Gott und Mensch um personhafte Gemeinschaft, die durch das Wort vermittelt ist. Indem Gott den Menschen als ein Du anredet, macht er ihn zu einem Ich, zu einem

Subjekt, das antworten kann und antworten soll. Nur in diesem Sinne kann von einer

Gottebenbildlichkeit des Menschen gesprochen werden. Das Ich des Menschen entsteht am Du Gottes, das den Menschen sich zum Gegenüber macht und ihn aus dieser Beziehung nicht wieder entlässt, wie auch immer der Mensch sich verhält. Das ist die besondere Würde des Menschen unter allen Geschöpfen, dass er dieses Gegenüber bleibt – im Guten wie im Bösen (33).


 

Der Zusammenhang der Seelenunsterblichkeit mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen nach Luther: (Es stimmt, dass) die Seele des Menschen der unsterbliche, den Untergang des Körpers überlebende Geist ist...Unsterblich ist sie nicht aus sich selbst heraus (per se), weil Gott denjenigen Teil der menschlichen Natur, in den er sein Ebenbild eingegossen hat, nicht sterblich sein, sondern nach dem Tod des Körpers bestehen bleiben lässt (34).


 

Es geht um eine Lehre von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, die in der 

Gottebenbildlichkeit des Menschen begründet ist. Weil Gott den Menschen in diese dialogische Relation zu sich hineingeschaffen hat, fällt das Ich des Menschen niemals ins Nichts zurück, sondern wird von Gott auch über den leiblichen Tod hinaus erhalten. Wenn Gott den Menschen als Partner einer bestimmten Beziehung geschaffen hat, so schuf er ihn für eine ewige, ununterbrochene Beziehung (34f).

 

2. Die Seele des Menschen und die Hoffnung der Christen


 

(1) Luthers Eschatologie

(2) Ist der Mensch bereit, sich von Gott sagen zu lassen, wer er ist?

(3) Auferstehung des `Leibes`, des `Fleisches`?

(4) Transfigurierte nachtodliche Gestalt des Menschen

(5) Das Ziel der menschlichen Lebensreise ist das Reich Gottes

(6) Das jüngste Gericht – das Eingangstor zu den letzten Dingen

(7) Fazit



Christof Gestrich

Ps. 73: Gott, „wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil...das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setzte auf Gott den HERRN“. Nicht eingreifende Wunder der Gefahrenabwendung erwartet dieser Beter, sondern er sucht sein Heil in der nie endenden Verbindung mit Gott. Weil der Beter hofft, die Erlösung auch dann noch zu finden, wenn man des Körpers verlustig geht, weil selbst dann noch auf die sich durchhaltende Treue Gottes gesetzt wird, musste die Vorstellung von einer Menschenseele oder menschlichen Identität, die auch durch den Tod bzw. den Verlust des Körpers nicht zerstört ist, Eingang in die Bibel finden. Die Vorstellung von einer den Tod überragenden Menschenseele wurde aufgegriffen aus genuin biblisch-theologischen Gründen. Es ging darum, klar auszusagen, dass der Tod nicht vom Leben mit und aus Gott scheiden kann. Der Mensch 'selbst' ist noch vorhanden, wenn sein Körper in die Grube fahren muss. Die ältere Frömmigkeit Israels war sich dessen nicht so sicher. Die Antwort, die ab der hellenistischen Zeit gefunden wurde, lautet: Die individuelle Person ist dann noch vorhanden als Seele, die ganz aus der Treue Gottes zu ihr lebt (39f).


(1) Luthers Eschatologie: Durch Gottes Anrede und durch die entsprechende Antwortmöglichkeit des Menschen wird der Mensch unsterblich. Mit wem Gott redet, der ist unsterblich. Menschen sind (nur) insofern unsterblich, als für sie gilt, dass sie Gott Rede und Antwort stehen müssen. Der Ermächtigung und Verpflichtung zur Antwort kann sich kein Mensch entziehen. Gottes Anrede gilt durch den Tod hindurch und über ihn hinaus. Wie sollte man, wenn es keine Auflösung der Rätsel in einem Leben nach dem Tode gäbe, es hinnehmen können, dass Gott manche Menschen erwählt hat, andere anscheinend nicht. Der Sache nach wertete Luther die menschliche Seele als den auf Gott bezogenen Identitätskern der Person. Er ist mit Leben aufgeladen durch die Gottesbeziehung. Die Gottesbeziehung bricht im Tod des Menschen nicht ab. Der Tod ist in Luthers Verständnis nicht als Eintritt in die Beziehungslosigkeit zu werten, denn Gottes Wirken an der Person und ihrer noch unfertigen Identität setzt sich fort. Gott redet weiter zur Seele (52f).

Das Eschaton vollzieht sich als eine Neudefinition der vorhandenen Schöpfung durch Gott und vor allem als göttlich-neue Wertung von Personen. Diese leben zum einen ihr Leben im Sinnhorizont der jetzigen Welt, aber sie sind mit ihrem Leben zugleich Bausteine, die Gott mit ganz anderer Bedeutung in sein kommendes Reich einfügt. Manche Geschöpfe tragen zum Bau des Gottesreichs vielleicht nur dadurch bei, dass sie mit 'schlechtem' Leben die weitere Destruktion der jetzigen Welt der Sünde vorantreiben. Andere indessen dadurch, dass sie unmittelbar zum Aufbau der neuen Welt wirken. Niemand hat das jedoch im eigenen Willen. Auch diejenigen, die so, wie sie jetzt sind, dem Reich Gottes nicht entsprechen, können als Geschöpfe Gottes gerechtfertigt werden. Am Ende der Tage wird Gott in allen Geschöpfen alles sein. Die Grenzziehung zwischen Erwählten und Verworfenen wird von Gott aufgehoben werden. Die menschlichen Identitäten werden erst am Ende offenbar werden (54f).


Die Identitätsbildung beginnt im Glauben an Jesus Christus. Denn in Jesus Christus hat die Gottesherrschaft mitten in der alten Welt schon eine Voraus-Darstellung gefunden. Sie zu ergreifen, führt Menschen in den Frieden mit sich selbst, mit Gott und mit der jetzigen Welt. Im Glauben schon himmlisch geworden, wird die Seele mit einer neuen Solidarität gegenüber der alten Welt ausgestattet. Sie wird mehr denn je der Erde treu (55).

Paul Tillich:

Exkurs: Der Mut zum Sein: Es führt zum geistigen Niedergang des Glaubens, wenn die Theologie es nicht leistet, aus dem Bannkreis früherer Auslegungen der Erlösung herauszutreten. Denn die christliche Heilsbotschaft muss auf die jeweils vorherrschenden seelischen Grundängste der Menschen antworten. Zur Zeit der Alten Kirche war es die Grundangst gewesen, sterben zu müssen. Im Mittelalter dagegen hat sich die Schuldangst und die Angst vor ewiger Strafe wegen persönlicher Sünden in die vorderste Linie geschoben. Hatte die Heilspredigt der Alten Kirche ihren Fokus bei der Verkündung der Totenauferweckung, so verschob sich der Schwerpunkt im Mittelalter auf die Verkündigung der Rechtfertigung des Sünders. Wenn die Kirche auch heute noch die Verkündigung des Heils ganz auf die Rechtfertigung des Sünders konzentriert, verkennt sie, dass die Zeit weitergegangen ist und das Christentum heute auf einen neuen Typus menschlicher Grundangst zu antworten hat: Die Angst vor der Sinnlosigkeit, der geistigen Leere des Lebens (70f).


(2) Ist der Mensch bereit, sich von Gott sagen zu lassen, wer er ist? Nur die Annahme der Personen-Definitionen, die uns Gott gibt, entspricht der christlichen Eschatologie. Wenn wir über den Tod hinaus erhalten werden, so erfüllt dies nicht menschliche Träume, sondern den Willen Gottes, an den einzelnen Menschen über den Tod hinaus festzuhalten und sie dabei seine Liebe spüren zu lassen. Bei der christlichen Hoffnung geht es um eine Einkehr Gottes ins Sterbliche mit dem Ziel, die Menschen teilhaben zu lassen an Gottes ewiger Seligkeit. Die Ziele, die mit dem ewigen Leben erreicht werden, sind diejenigen Gottes. Sie laufen darauf hinaus, dass wir in das Bild Jesu Christi hinein gestaltet werden: „Wir werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur anderen von dem Herrn, der der Geist ist“ (2Kor 3,18). „…damit sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern“ (Röm 8,29). „…wir sind schon Gottes Kinder, es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist“ (1Jh 3,2) (88).


Der Mensch stirbt „wenn sein Geist herausgeht“: „wenn von uns unser Geist gen Himmel ist gereist“ (EKG 86,1). „Denn der Leib ohne Geist ist tot“ (Jak 2,26). Wie das Geschaffenwerden des Menschen, sein Zum-Leben-Kommen die Sendung des Geistes durch Gott ist (Sach 12,1; Ps 104,30), so ist das Sterben des Menschen die Wegnahme des Geistes durch Gott: „nimmst du weg ihren Geist (ruach), so vergehen sie“ (Ps 104,29). „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist“ (Lk 23,46; Ps 31,6). Der Tod Jesu wird als Aushauchung bzw. Übergabe des Geistes beschrieben „er hauchte den Geist aus“ (Lk 23,46; Mk 15,37), „er gab den Geist auf“ (Mt 27,50; Jh 19,30) (100).


Die ewige Bedeutung des Individuums: Jesus repräsentiert die versöhnende Liebe Gottes, der sich um jeden einzelnen Menschen kümmert, wie ein Kleinviehhalter, der dem einen Schaf, das er verlor, nachgeht, bis er es findet. Das Bild des Gottes, der mit ewiger Liebe jeden einzelnen Menschen sucht, der verloren ging, verlieh dem menschlichen Individuum einen ewigen Wert. Mit dem Christus in uns ist Ewigkeit in den inneren Menschen eingezogen. Es ist Christus ewiges Leben, das unseres erst noch werden soll (103f).


'Kurzpredigt' des Christus in uns: Was ich, Christus, dir, der Seele biete, ist: ein an Haupt und Gliedern erneuertes menschliches Geschöpf zu werden: frei für die Liebe, ausgestattet mit einem neuen selbstgewissen und heilsgewissen Geist. Ich bleibe bei dir im Leben und im Sterben und führe dich dorthin, wo ich als Lebendiger und Unvergänglicher jetzt schon bin und in Ewigkeit mit dir sein werde (106).


(3) Auferstehung des 'Leibes', des 'Fleisches'? Die Vorstellung, dass 'dasjenige', was nach dem Sterben im Sarg beerdigt wird, nun im Grab ruhe bis zum 'Jüngsten Tag' (der Leib in seinem Schlafkämmerlein) und 'dann' identisch, aber in einer unverweslichen Qualität von Gott wieder auferweckt werde, ist abstrus. Diese Sprach- und Denkform, in der das 'Heil' ausgedrückt wird, ist abständig geworden. Der lebendige Glaube selbst hat sich davon abgewandt, der Verstand ohnehin. Mit der Ablehnung der abstrusen Vorstellung, die 'Leiber' würden 'wiederhergestellt', schwand in vielen Fällen die Hoffnung über den Tod hinaus (172).


Wir brauchen ein theologisches Konzept, das das neue Sein aus der Auferweckung der Toten zur Sprache bringt im Rahmen der von Gott eschatologisch ermöglichten Ganzwerdung der im Tod noch unvollendeten Seelen. Es geht nicht um den Leib, der wiedererweckt wird, sondern um das Erlangen einer neuen Gestalt, die Christus entspricht, um das Erlangen einer Identität, in der die Individuen untereinander versöhnt und in Liebe verbunden sind. Als Erlöster wird der Mensch eine neue Gestalt haben, die seine erreichte Identität zum Ausdruck bringt (185f).


M. Luther: Der jetzige Mensch ist das Material, aus dem Gott das Leben in seiner zukünftigen Gestalt herausbildet. Schon unser jetziges Tun und Lassen ist, ohne dass wir es wissen, eingefügt in ein ganz anderes Design des Lebens, in dem es einen ganz anderen Stellenwert hat. Gerade so arbeitet Gott auch an uns selbst und meißelt aus uns jene Gestalt heraus, in der wir Christus – der wahren menschlichen imago Dei – gleich sein werden. Somit arbeitet er auch an unserer Vollendung (Anm. 26).


Im Reich Gottes geht es nicht um andere Werte, sondern um ein anderes Sein: um das von Gott verfügte neue Sein des (zuvor) Nichtigen. Gott macht etwas Unerwartetes aus diesem scheinbar Wertlosen. Er arbeitet mit Totem und belebt es dadurch. Er entwickelt es zu einer neuen Schöpfung. Er kann hierfür gerade das durch Leiden, durch Schuld, durch Sterbeprozesse verbrauchte Menschenleben gebrauchen. Als Christ hat man nicht auf eine wundersame Wiederherstellung nach dem Tode im Jenseits zu hoffen, sondern auf einen von Gott verfügten und gestalteten neuen Anfang, bei dem der Mensch in Neues eingefügt wird (200).

Die Auferstehung ist kein Ungeschehenmachen des Todes. Sie ist neues Leben durch den Tod hindurch, neue Gemeinschaft mit den Menschen durch die Verlassenheit hindurch. Keine einfache Rückkehr in frühere Zustände, sondern ein Neuanfang, den Gott gesetzt hat (Anm. 27).

Für Luther war das biographische Leben ein in neuer Funktion im Reich Gottes wiederverwendeter Bauteil. Den Körper der Gestorbenen betrachtete er als Abfall, den die Würmer fressen. Die Würmer fressen die Leibeshülle, die mit der eigentlichen Person nichts mehr zu tun hat. Sie wird zu Humus. Die 'lutherische Seele' hofft, dass wir uns von Gott wiedergeschenkt werden in einer guten, neuen Gestalt (205f).


(4) Transfigurierte Gestalt des Menschen nach dem Tod: Der Tod wird im Christentum als der größte Feind verstanden, weil er nicht bloß einen alt gewordenen Körper entsorgt, sondern die Seele des Menschen selbst mit ihren subjektiven und objektiven Aspekten mit aller Wucht betrifft. Der Mensch muss wiedergeboren werden aus Gott. Das kann schon im jetzigen Leben geschehen. Doch muss der Mensch dann seine Wiedergeburt auch tatsächlich noch seelisch einholen. Es bleibt ihm nicht erspart, den Untergang des Alten als eine Art Kreuzeskost selbst zu schmecken, auch muss er die Heiligung seiner Existenz in der Neubegründung und Wiedergeburt durch Gott selber noch erfahren. Gottes Arbeit an uns dauert solange fort, bis die neue Gestalt, zu der uns Gott vom Tode auferweckt, vollendet hervortreten kann (206f).


Diejenigen, in denen 'Christus wohnt', wissen sich versiegelt für ein Leben, in dem der Mensch selbst, zu Gott, zum Nächsten findet: „Ich (Christus) gebe ihnen das ewige Leben und sie werden nimmermehr umkommen und niemand wird sie aus meiner Hand reißen“ (Jh 10,28). Die christliche Hoffnung ist Freude, denn Gott berücksichtigt mich; er wird mit mir zusammen sein Reich gründen; er fördert mich so, dass ich sein Partner werden kann, ihn liebe und ihn erkenne, so wie er mich liebt und mich erkennt. Dem nachzuleben ist der Sinn meines Lebens. Ich weiß nun, dass ich nicht verloren gehen kann, weil der Ewige selbst mich ruft und sich mit mir verbündet (207f).


Die Berufung in den Himmel ist zugleich auch eine Berufung in die Kette des Segens hinein, der die Welt verwandelt. Ihre Heiligung, ihre Identität und ihre Erlösung finden Christen darin, dass sie – ob sie leben oder sterben – mit der Hilfe Christi und des Heiligen Geistes bewegte Glieder dieser Kette des Segens sind und bleiben (209).


Warum sollen wir in den Himmel kommen? Der sterbende Mensch erleidet ein völliges Entleert – und Ausgeliefertwerden. Erst wird ihm die Seele betrübt gemacht. Dann, so scheint es, zerrissen, denn das bewusste Ich muss seine eigenen Lebenskräfte abgeben. Am Ende des Prozesses geht es dann auch selbst unter. Die individuelle Seele war ein Ort, an dem sich viele Lebenslinien miteinander verknüpft haben. Diese Linien repräsentieren die seelisch konstitutiven Beziehungen, die einen Menschen ausmachen. Sie sollten zu einer neuen individuellen Identität vereinigt werden. Nun aber ist der Tod dazwischengetreten in den Prozess der individuellen Vereinigung dieser Linien. Das Ich muss das Rennen aufgeben. Es geht unter. Was in diesem Moment aber nicht mit untergegangen ist, das sind diese Lebenslinien selbst, die zu diesem individuellen Ich hingeführt haben. Übrig bleibt, was diesen Menschen konstituiert hat. Dass dieser Mensch nun sterben musste, bedeutet für dieses ehemalige Beziehungsgewebe, dass die Seele inzwischen eine neue Gestalt braucht (211).


Der möglicherweise religiös schon eingeübte Vorgang der Zurückgabe des eigenen individuellen Lebens an den Schöpfer („Ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände“) kommt im Sterben zum Abschluss. Nun wird das selbstbewusste Leben nicht mehr nur kurzfristig entzogen, um danach in gestärkter Form von Gott zurückgegeben zu werden. Es wird vielmehr die ganze bisherige Gestalt des Individuums aufgelöst, wobei die Seele zunächst noch der eigentliche Akteur des Ganzen zu sein scheint, dann jedoch selbst mit in den Untergang gezogen wird. Nun liegt es bei Gott, ihr eine neue, eine veränderte zukunftsträchtige Gestalt zu geben (212).


Der Übergang zur transfigurierten Gestalt ist oft wie eine schwere Geburt zu erleiden. Der Mensch ist dabei nicht mehr Herr des Geschehens. Er wünscht, diesen total gefährdeten Übergang, der einen so grundlegenden Neubeginn zur Folge haben wird, zu vermeiden. Dieser Übergang ist aber überaus wichtig für das Reich Gottes, in der der so transfigurierte Mensch ein Kernelement ist. Er ist auch wichtig für den individuellen Menschen selbst und seine Vollendung. Des Menschen Leben endet nicht im Wegzuwerfenden, sondern der Mensch stirbt in die wichtigste Aufgabe hinein, die Gottes Geschöpfen zukommt: dem liebenden Schöpfer eine ihn wiederliebende Welt entgegenzubringen. In der biographischen Existenz war der Mensch hauptsächlich der Empfänger göttlicher Liebe. In der nachtodlichen Gestalt kann er mit dem Wiederlieben Gottes beginnen (212f).


(5) Das Ziel der menschlichen Lebensreise ist das Reich Gottes: Für Christen bedeutet diese Orientierung, dass sie – sterbend – noch tiefer ins Reich Gottes und in den es repräsentierenden Christus hineingelangen werden, mit dem sie auch vorher schon verbunden waren. Sie gehen jetzt in den innersten Raum 'im Hause des Herrn', worin die Leitung des Ganzen wohnt. Sie werden dort klar sehen (1Kor 13,12). Die gestorbenen und doch lebenden Glieder am vom Tode auferweckten Christusleib werden so der Vollendung entgegengeführt, dass sie – mit Christus gleichgesinnt (Phil 2,5) – ihre neuen Möglichkeiten, dem Reich Gottes zu dienen, in höchster Wachheit einbringen. Sie werden vollendet, indem sie tun (213f).


Gott hat sein Bundesziel mit dem Menschen erst dann erreicht, wenn dieser so weit entwickelt ist, dass er als echter Partner Gott zurücklieben und mit ihm kooperieren kann. Erst die wache, himmlische Koexistenz der Gestorbenen mit dem auferstandenen Christus erbringt die Vollendung. Gelangen wir ins Reich Gottes, so finden wir auch zu uns selbst. Durch den Tod wird der Mensch nicht abgetrennt von der auf ihn gerichteten Liebe Gottes. Über den Tod hinaus gewährt Gott jedem Menschen noch die Erfahrung, die er braucht, um zur Höhe der ihn ganz und heil machenden Gottesliebe, Selbstliebe und Nächstenliebe zu gelangen. Es geht darum, vollendet zu werden in der Rolle, die wir für Gott zu spielen haben. Der Himmel muss sein. Wir haben dort noch etwas zu tun. Das Reich Gottes ist das unverbrüchliche Zusammenwohnen Gottes und der Menschen im Bund wechselseitiger Liebe. Das Reich Gottes ist auch ein Ausdruck der göttlichen Erwählung des Menschen (214f).


Das Reich Gottes kommt auf alle Menschen zu. Das Reich Gottes, die von Gott völlig veränderte Lebenswirklichkeit schiebt sich schon ins jetzige Leben vor. Durch das herankommende Reich Gottes wird der Mensch von Gott jetzt schon in Anspruch genommen. Es ist Gottes Geheimnis, dass er eines seiner Geschöpfe, den Menschen, in diese Mündigkeit der Beziehung zu Gott hinein erweckt und ihm schon im Voraus mehr zutraut, als vorerst vom Menschen realisiert wird. Der wie auf Augenhöhe zu Gott erhobene Mensch hat die Möglichkeit, sich Gott zu entziehen. Dass der Mensch zu Gott auch Nein sagen kann, diese Freiheit hat gerade das herankommende Gottesreich selbst am Menschen hervorgeliebt (216f).


Gottes Reich kann nicht scheitern. Gottes Liebe ist universal. Sie beschränkt sich nicht auf die Erwählten. Gott wird das Leben dieser und jener Menschen nutzen, um sein Reich zu bauen. Er wird unfreiwillige Mitarbeiter haben und am Ende auch ihr Herz gewinnen. Das Ziel des Reichs Gottes, das Miteinander-Wohnen Gottes und des Menschen in wechselseitiger Liebe, wird mit uns persönlich noch erreicht werden können. Wir werden von Gott für die Vollendung seines Reichs noch gebraucht werden (218).


Hiob 19,25f: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen“ (Lutherbibel von 1985). Diese atl Stelle ist kein Belegt dafür, dass im hebräischen Denken Körper und Seele strikt zusammengehören und dass nur die körperliche Gegenwart das persönliche Dasein und Bewusstsein ermöglicht. Diese Bibelstelle bildet eine kühne Ausnahme, wenn Hiob sagt:

Selbst wenn mir mein Fleisch dahingeschwunden ist, werde ich trotzdem noch Gott sehen“ und wenn Hiob in V 27 bekräftigend hinzusetzt: „Ich selbst werde ihn sehen … und kein Fremder …“ (Anm. 69).

Mich Einzelnen und Einmaligen nimmt Gott an; Gott will gerade mich: Ich werde darum noch am Ziel der Welt jenes Individuum sein dürfen, das ich von Anfang an war und als das Gott mich persönlich bei meinem Namen gerufen hat. Dies ist der erwählenden, fürsorgenden und den Menschen weiterentwickelnden göttlichen Liebe zuzuschreiben (224).

Der christliche Glaube zielt auf den Gestaltwandel der Person. Die Individualität des Menschen bleibt gemäß dem christlichen Glauben in Ewigkeit wichtig. Ziel und Ende ist ein Schöpfungsgesang in harmonisch zusammenklingendem vielfältigstem Gotteslob (225).


 

(6) Das Jüngste Gericht – das Eingangstor zu den letzten Dingen: Das Jüngste Gericht ist nicht ein Ereignis nach der Totenauferweckung, sondern ein Ereignis vor ihr. Es führt hin zum Wiederaufleben des gestorbenen Menschen in neuer, transfigurierter Gestalt. Auch bei Jesus selbst ist die weltgerichtliche Szene von Golgatha der Auferweckung vorausgegangen. Das Jüngste Gericht bildet die entscheidende Zäsur zwischen dieser Zeit und jener. Es vollzieht sich jeweils mit dem Tod eines Menschen und ist dennoch eine einzige göttliche Veranstaltung in Bezug auf die ganze Menschheit. Das universale Endgericht und das individuelle Endgericht müssen ineinandergestellt werden (227).

Das Jüngste Gericht, das nach christlicher Auffassung von Christus abgehalten wird, bringt die Menschen auf diesen letzten Weg. An seinem Ende sind sie dann durch Christus gleichsam hindurchgegangen und er durch sie. Die Zielgerade ist der weitere Weg des Menschen nach seinem Tod. Schon im Himmel angelegt, ist die Zielgerade der Weg der Seele hinein in die eigene Vollendung und in die Vollendung der gesamten Schöpfung im Reich Gottes. Wie ein Gott dienstbarer Engel kann die Seele, die das Gericht hinter sich hat, tun, was Gott und was ihr selbst gefällt, und was zum Besten dient. Die Seele wird auch hier als individuelles Selbstbewusstsein verstanden, das mit einer sich entwickelnden Gestalt verbunden ist, deren richtige von Gott ermöglichte Endform von der Seele gefunden werden muss (228).


Auferstehung meint die göttliche Verleihung der neuen Vollkommenheitsgestalt: Die Auferweckung der Toten ist ein Prozess, bei dem noch dieses und jenes geschehen wird und getan werden muss im Rahmen der zu erwartenden Vollendung. Die beginnt schon im biographischen Leben, wenn ein Mensch Gottes Ruf hört. Sie vollendet sich erst, wenn die volle individuelle Identität erreicht und die endgültige Gestalt für dieses bestimmte Individuum gefunden ist. Dann ist auch das Reich Gottes die alles bestimmende Wirklichkeit geworden. In der neuen Gestalt werde ich Gott so lieben, wie er mich liebt. Zugleich werde ich viel intensiver und besser zusammensein mit den Mitgeschöpfen und Mitmenschen (229).


Das Jüngste Gericht geschieht, um Rückblick zu halten auf das, was einem Menschen gefehlt hat und um festzustellen, was er noch braucht, um in die Freiheit der Liebe zu gelangen. Im Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25) geht es nicht um die absurde Verurteilung und ewige Bestrafung Einzelner, deren ausgeübte Liebe ein bestimmtes Soll unterschritten hätte, sondern dieses Gleichnis sagt Gottes Verurteilung des lieblosen Lebens als solchem aus. Dieses ist mit dem Reich Gottes für ewig verbannt (230).


G. Sauter: Die Pointe des Gleichnisses (Mt 25) besteht darin, dass Christus für alle überraschend als derjenige hervortritt, der in vielen Gestalten der Bedürftigkeit bereits jetzt anwesend ist, wenngleich verborgen. Auf Christus Hoffende müssen nicht nur so, wie sie sind, vor Christus treten, sondern sie sehen sich von seiner Gerechtigkeit umhüllt. Damit sind die Sünder letztgültig von ihrer Sünde geschieden. Im Jüngsten Gericht vollendet sich die Rechtfertigung der Gottlosen (Anm. 80).


W. Huber: Die Vorstellung vom Gericht wurde auch dazu missbraucht, Menschen einzuschüchtern und zu verängstigen. Die Drohung mit dem Fegefeuer und mit Höllenstrafen wurde zum Herrschaftsmittel. Vom theologisch falsch verstandenen Jüngsten Gericht aus legitimierte man weltliche Instanzen, sog. Ketzern den Garaus zu machen. Man hielt es für eine gottgefällige Tat, einen Ungläubigen zu töten (Anm. 82).


Wird das Jüngste Gericht unter dem Evangelium Christi gesehen und in seiner Funktion für das Reich Gottes, dann steht es nicht zur Debatte, wie ich mich auf dem Hintergrund meiner Handlungen im Leben im Gericht rechtfertigen kann, sondern, ob Gott meine Handlungen und ihre Auswirkungen für den Bau seines Reichs gebrauchen kann. Die Werke eines Menschen, nicht aber ein gestorbener Mensch selbst, werden einer solchen Feuerprobe unterzogen. Das Reich Gottes ist hier das überaus Wichtige (233).


 

Das Jüngste Gericht erweist sich als der endgültige Maßstab. Es löst das für uns Widersprüchliche auf und macht uns das wahre Ausmaß der Verflochtenheit unseres Lebens mit demjenigen anderer sichtbar. Wer ist Opfer, wer ist Täter? Wer ist beides? Es deckt uns auf, warum wir uns selbst unerkennbar geblieben waren im Leben. Christlich richtig verstanden wird das Jüngste Gericht dann, wenn es als Höhepunkt der Würdigung der menschlichen Person durch Gott gesehen wird. Gott sucht den Bund mit dem Menschen auf Augenhöhe. Er sieht nicht alles das gnädig an, was der Mensch falsch gemacht hat, sondern er zeigt es ihm. Er hält ihn für verantwortlich und zurechnungsfähig. Er hält ihn vor allem für liebesfähig. Er lässt ihn sich entwickeln bis zur Höhe des Wunders, dass der Mensch mit Gott frei in Liebe verbunden und ihm Partner sein kann. Das ist das neue Leben, das dem Menschen noch geschenkt wird (234).


Die Läuterung der Gestorbenen, die ihnen nach dem Jüngsten Gericht und aufgrund desselben eröffnet ist, ist ein Bestandteil ihrer seelischen Auferstehung. Diese Läuterung ist ein durch Gott ermöglichter Wille, für die Vollendung des Reichs Gottes da zu sein und sich mit diesem selbst zu vollenden. Alle Strafvorstellungen liegen weit dahinten (236).


(7) Fazit: Wir benötigen heute ein erneuertes christliches Verständnis der Bestimmung des 

Menschen. Wir benötigen eine erneuerte christliche Heilsgewissheit, der ein präzises Verständnis dessen, worin das Heil besteht, zugrunde liegt. Die Neuaneignung einer kritisch geprüften Lehre von der menschlichen Seele kann die Theologie und Praxis der christlichen Kirche in der Gegenwartskultur wieder präsent machen. Ihre Höchstschätzung des einzelnen Menschen enthält ein wichtiges Potential. Gewartet wird auf eine Darlegung, warum kein Mensch ins Nichts geht und dass der Tod eine Schwelle ist, die unsere Möglichkeiten, in Liebe dabei zu sein, auf einer neuen Stufe vollendet (238).


Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden; denn ihm leben sie alle“ (Lk 20,38). An dieser Stelle ist nicht zu übersetzen: Durch ihn (Gott) leben sie alle, sondern wem zum Nutzen lebt jemand: „Ihm (Gott) leben sie alle“. Die Toten leben nicht einfach, weil sie aus Gott heraus seelisch weiterleben können. Sie leben auch nicht um ihrer selbst willen (für ihre Vollendung). Ihre

Lebendigkeit kommt daher, dass sie für Gott immer noch dazusein und tätig zu sein haben. Gerade nur dies, dass sie in der Liebe zu Gott, ihrem Schöpfer, der sie zuerst geliebt hat, noch etwas erreichen und bringen müssen, hält sie lebendig. Aber so sind und bleiben sie lebendig (Anm. 101).


3. Die biblische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele

(1) Biblische Grundaussagen über die postmortale Existenz des Menschen

(2) Die biblische Lehre vom Menschen

(3) Sterben und Tod des Menschen

(4) Ewiges Leben

(5) Die Reichweite der Heilstat Jesu Christi

F. Heidler:

(1) Biblische Grundaussagen über die postmortale Existenz des Menschen

Jenseitige Existenz als Gottes Schöpfungsordnung: Durch die Verheißung: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43) macht Jesus deutlich: Mit dem Tod ist es keineswegs aus, sondern es geht weiter! 'Du wirst sein', sagt er dem Sterbenden. Du wirst weiter existieren und zwar 'heute', unmittelbar nach dem Sterben, unmittelbar nach beider Tod am Kreuz geht es weiter. Jesus verheißt dem Mitgekreuzigten, dass er als Person unmittelbar nach seinem leidvollen Kreuzessterben mit ihm im Paradies sein wird (17f).


Wir existieren, auch wenn wir gestorben sind. Die Weiterexistenz aller Menschen nach dem Tod gehört zu den Schöpfungsordnungen Gottes, ist für alle Menschen eine schöpfungsmäßige Setzung Gottes (20).


Innerer und äußerer Mensch: Der äußere Mensch ist der aus irdischer Stofflichkeit, aus Materie bestehende Leib, der sichtbar organische Körper mit Fleisch und Blut (2Kor 5,1; 1Kor 15,20), der post lapsum nur mit der ihm innewohnenden gottwidrigen, sündigen Dynamis zusammen gesehen werden kann (Röm 7,23f). Der innere Mensch ist Geist und Seele: der Mensch, der „außer dem Leibe daheim beim Herrn“ sein kann und sofern der Glaube gekommen ist (Gal 3,23; Röm 10,17) gegen das 'Fleisch' streitet (Röm 7,22), obwohl der innere Mensch post lapsum selbst auch 'Fleisch' ist, wenn Gottes Heiliger Geist nicht Glauben wirkt (23f).


Der Geist (ruach, pneuma) als Bezeichnung des inneren Menschen: Nach der Bibel ist Geist in seiner anthropologischen Bedeutung ein ontisches Existential des Menschen und zwar dasjenige

Konstitutions- und Strukturelement, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Geistliches Leben ist Glaubenswirkung des Wortes Gottes bei denen, die es hören, durch den Heiligen Geist, wo und wann Gott will. Große Bedeutung hat die biblische Erkenntnis vom Menschen in seiner Trias als Geist, Seele und Leib für die Erhellung dessen, was Sterben heißt, was der Tod ist und was ewiges Leben im postmortalen Sinn für den Einzelnen bedeutet( 25f).

 

(2) Die biblische Lehre vom Menschen: Die negative Reaktion des Menschen auf Gottes Anrede hat ihn schuldhaft seine Bestimmung verfehlen lassen (Gen 3; Röm 5,18f; 1Kor 15,22). Dieser Ungehorsam treibt in die Vernichtung (Röm 6,23). Darum ist die ursprüngliche Bestimmung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott nur durch den Glauben an Jesus Christus wiederherstellbar: „Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus“ (1Tim 2,5) (28).


(a) Die Natur des Menschen Lebensodem = Geist: 1Thess 5,23:Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist, samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus“. Paulus interpretiert mit dieser Grundaussage den in Gen 2,7 bildhaft geschilderten Vorgang: „Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. So ward der Mensch eine lebendige Seele“ (30).

Luther erkennt zwei Dimensionen, unter denen der Mensch in Gottes Offenbarung im Blick ist: einerseits der 'Natur' nach, andererseits der 'Eigenschaft' nach: 'Der Natur nach' bezieht sich auf die Analyse seiner schöpfungsmäßigen Beschaffenheit als das Wesen Mensch als Geist, Seele, Leib. 'Der Eigenschaft nach' bezieht sich auf sein Verhalten als dieses so analysierte Wesen: d.h. der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit als Geist, Seele und Leib kann 'Geist' sein, 'gut' sein, gottergeben im Glauben, oder er kann als Geist, Seele und Leib 'Fleisch' sein, gottfeindlich, gottwidrig (Daseinsverfehlung). Wichtig ist es, diese Unterscheidung, die die biblische Anthropologie macht, immer im Auge zu behalten, die Aussagen über die natürliche Beschaffenheit des Menschen und die über seine Lebenshaltung. Dabei geht es um die Frage, ob der Mensch seiner Bestimmung zur Gottesgemeinschaft entsprechend im Glauben an Christus lebt, ob er 'geistlich' oder 'fleischlich' existiert (31f).


Der menschliche Geist (pneuma) in seiner Existenz steht in steter Abhängigkeit von Gott und hat in Ihm, dem Schöpfer, sein Fundament ab extra. Das Wort 'pneuma' charakterisiert den Menschen in seiner einzigartigen Stellung in der Schöpfung, in seinem personalen Subjektsein, nämlich aufgrund seiner Geist-Konstitution eine responsorische Existenz führen zu können: von Gott her und auf Gott hin ansprechbar zu sein. Der Geist verleiht ihm den Charakter des Ich-Subjekts, der Person, wie Gott Person ist. Die Erzählung vom Einblasen des Lebensodems durch Gott (Gen 2) ist die bildhafte, metaphorische Redeweise von dieser Wahrheit (33f).


Luther erkennt nach der Bibel drei Konstitutionselemente des Menschen: erstens den Geist als höchsten, tiefsten, edelsten Teil, - zweitens die Seele; Luther bezeichnet die Seele als Zwischenteil zwischen Geist und Leib, - drittens den Leib, der ist jedermann offenbar, dass man sehen kann, was er tut und wie er lebt. Ein Dreifaches ist im Menschen vorhanden, der Leib, die Seele und der Geist. Unverkennbar ist die alles überragende Rolle des Geistes als des wichtigsten Teils der schöpfungsmäßigen Beschaffenheit des Menschen, als des alles bestimmenden Elements seiner Konstitution. Wenn der Geist nicht mehr heilig ist, ist nichts mehr heilig. Darum ist's not, dass uns Gott zum ersten den Geist, danach die Seele und den Leib behütet, dass wir nicht umsonst wirken und leben (35f).


Der Geist ist dasjenige Element, das den Menschen Gott gegenüber bündnisfähig macht. Im

Unterschied zum Tier ist der Geist des Menschen (pneuma) das dem Menschen in und mit seinem

Geschaffensein, schöpfungsmäßig zusätzlich gegebene substantielle Strukturelement, das Plus im Vergleich zum Tier, das auch lebendige Seele ist, das Plus, das ihm die schöpfungsmäßige Befähigung verleiht, ein von Gott ansprechbarer Partner zu sein. Der Geist des Menschen ist die Ermöglichung seiner responsorischen Existenz. Damit ist der Geist des Menschen der Ort, an dem sich entscheidet, ob er als Ganzer (Geist, Seele, Leib) geistlich oder fleischlich ist. Der Mensch ist qua Mensch in seinem wichtigsten Teil Geist im Sinne von Pneuma wie Gott Pneuma ist (aber nicht ein Teil von Gottes Pneuma). Der Mensch ist Pneuma-Geist: Nach dem Sündenfall besitzt der Mensch nur noch einen Rest der Gottebenbildlichkeit (36f).


Wenn und sofern Gottes Heiliger Geist (pneuma hagion) durch sein Wort im Menschen zur

Glaubenswirkung kommt, ereignet sich dies in des Menschen Geist (pneuma – nicht nous oder ratio), der ihn im Unterschied zum Tier befähigt, von Gottes Heiligem Geist erfasst, angeredet, erneuert zu werden. Der so von Gottes Heiligem Geist aktualisierte Geist des Menschen wirkt sich auf die Ganzheit menschlicher Existenz aus. Der Geist ist das 'Haus, da der Glaube und Gottes Wort innewohnt'. Mit dem Geist als Konstitutionselement, auch wenn er durch den Urfall (Gen 3) zum Zerrbild geworden ist und nicht geistlich sondern fleischlich existiert, ist dem Menschen die seinsmäßige Disposition zu einem erneuerten Leben mit Gott erhalten geblieben. Er ist nicht zum Tier geworden, dem diese Disposition schöpfungsmäßig fehlt. Dieser 'Rest' der Gottebenbildlichkeit ist bei aller Sünde konstant (38f).


(b) Das Innewohnen des Geistes (Lebensodems) als Grund der Unsterblichkeit der Seele (Gen 1f)Schöpfungsgabe Geist: Der Mensch ist Gottes Ebenbild: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn“ (Gen 1,27). „Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erdenstaub und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch eine lebendige Seele“ (Gen 2,7). Der Odem des Lebens, ein entscheidendes ontisches Existential des Menschen, gehört nun zu dessen Konstitution. Was Odem heißt, kann eben so gut Geist heißen. Es ist Gottes Lebensodem oder Geist aus Gott, den Gott selbst im Schöpfungsakt zu Nicht-Gott macht und dem Menschen als das wesentlichste Element seiner Existenz 'einhaucht'. Der Schöpfer übermittelt Geist aus seinem Geist als geschöpfliche Gabe, indem Er aus dem Seinen nimmt und das aus dem Seinen Genommene im Schöpfungsakt in das Erdgebilde Mensch, mit geschöpflicher Eigenexistenz versehen, hineingibt und diesen so zur lebendigen Seele macht. Darum spricht Gott im Blick auf die Menschen: „Ich will nicht … ewiglich zürnen, sonst würde ihr Geist vor mir verschmachten und der Lebensodem, den ich geschaffen habe“ (Jes 57,16). Der dem Menschen schöpfungsmäßig innewohnende Geist als Einhauch Gottes (als geschöpflicher Geist aus dem Geist des Schöpfergottes) verleiht dem Menschen seine Gottebenbildlichkeit (39f).


Die Unsterblichkeit der Seele: Im Unterschied zu der lebendigen Seele, die Tier heißt (Gen 1,20), entsteht und besteht diejenige lebendige Seele, zu der der Mensch wurde, darin und nur dadurch, dass Gott selbst seinen Odem (Geist) in das aus Materie geformte Menschengebilde hineinhaucht und das mit diesem Einhauch versehen der Mensch lebendige Seele ist. Der Geist erzeugt, in das Staubgebilde, den irdenen Organismus eingehend, die Seele, die damit ihrem Wesen nach unvergängliche, weil sie göttliche Lebenskraft in sich trägt, durch die sie geworden ist und besteht. Die Bibel lehrt die individuelle Seele, die diese ihre Individualität durch Gottes Odemeinhauch (Geistgabe) erhält und auf ewig behält. Nach biblischer Lehre ist und bleibt die Person des Menschen individuelle Geistseele (40f).


Das Innewohnen des Geistes im Menschen bekundet seine Singularität unter allen Geschöpfen als Gottes Ebenbild. Menschsein heißt Gottes Ebenbild sein. Durch Gottes Heiligen Geist gewirktes geistliches Leben des Menschen ist absolute Existenz ab extra. Es geschieht nur sola gratia, nur propter Christum und ist nur per fidem zu akzeptieren. Nur sofern und soweit Gottes gnädige Zuwendung im Heiligen Geist beim Menschen Ereignis wird, den Menschen hält und immer wieder beim Glauben hält, kann er geistlich leben. Das Wirken Gottes des Heiligen Geistes ist ein immerwährendes Sichereignen zwischen Gott und dem wiedergeborenen Menschen (Jh 3) und es kann sich nur zwischen Gott und seinem Ebenbild, dem mit Geist von Seinem Geist ausgestatteten Geschöpf vollziehen. So lebt der Christ aus dem steten Ereignis des Gehaltenwerdens durch Gott den Heiligen Geist, der nicht Selbstbesitz des Menschen ist. Es ist die menschliche Eigenexistenz mit dem Existentialbesitz des göttlichen Lebensodems, des von Gott stammenden Geistes, den Er dem Menschen im Schöpfungsakt und als Schöpfungsakt eingehaucht und als Grund und Merkmal seiner Gottebenbildlichkeit als Konstitutionselement verliehen hat (47f).


Der Geist des Schöpfers und der geschöpfliche Geist des Menschen sind zweierlei. Es besteht der

Existenz nach keinerlei Anteilhabe des menschlichen Geistes an Gottes Geist, wie das die Griechen und Neuplatoniker lehren. Aber der Mensch ist neben Leib und Seele auch Geist, wie Gott Geist ist, freilich geschöpflicher Geist, in Eigenexistenz (53f).


Der innerste Kern des pln inneren Menschen ist Geist wie Gott der Substanz nach, aber geschöpflicher, geschaffener Geist der Eigenexistenz nach, nicht in Aseität, die allein Gottes eigenem Geist zukommt, aber in geschenkter Geschöpfesexistenz, die von Gott stets abhängig bleibt und nur durch das Wirken Gottes des Schöpfers und Erhalters Eigensein behält. Ps 104: „Nimmst Du weg ihren Geist (Odem), so vergehen sie und werden wieder zu Staub. Du sendest aus Deinen Geist, so werden sie geschaffen“ (55).


(c) Der Geist als Konstitutionselement des Menschen: Menschliches Leben haben heißt mit der Geistgabe als Seinselement ausgestattet sein. Dabei ist der Geist als unabdingbares

Konstitutionsexistential das entscheidende Lebenselement. Er ist auch zur Gotteserkenntnis bestimmt, insofern als Gott seinen Geist im Geist des Menschen erfahrbar und wirksam sein lassen will (56).


Es ist der Geist im Menschen, der vom Heiligen Geist erfasst ist, ohne den es kein Beten und kein geistliches Verhalten gibt. Ohne den Heiligen Geist im Glauben bleibt auch der Geist als Gottes Ebenbild im Menschen nur fleischlicher Geist, der vor Gott nicht bestehen kann. Röm 8,16: „Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind“. Dieser Satz macht offenbar, dass Gottes Heiliger Geist in aktiver Weise sich dem geschöpflichen Geist des Menschen zeugnisgebend zuwendet als dem Teil des Menschen, der der Ansatzpunkt (Atenne) in des Menschen geschöpflicher Beschaffenheit für Gottes Wirken am Menschen ist (58f).


Der innewohnende Geist als Schöpfungsgabe an den Menschen ist der Teil des Menschen 'der Natur nach', ist die Seinsschicht des Menschen, die Gott mobilisiert, wenn Er mit seinem Abbild in

Beziehung tritt und ist die Lebenskraft jedes Menschen überhaupt. Geist (ruach, pneuma) im Blick auf den Menschen ist im Unterschied zum Tier schöpfungsmäßiges Konstitutionselement des Menschen, ist das eigentlich Menschhafte, ist auch nach dem Sündenfall das Humanum schlechthin, das allen Menschen eignet und das die Identität des Menschen aller Zeiten ausmacht – ob er seiner Bestimmung zur Gottesgemeinschaft gemäß lebt oder nicht (61f).


Dem Pneuma-Existential des Menschen – Geist wie Gottes Geist, aber geschöpflicher Geist – eignet der Charakter der Unvergänglichkeit, der Unsterblichkeit (64).

Zusammenfassung: Geist (ruach, pneuma) ist

  • das entscheidende Konstitutionselement des Menschen;

  • das die menschliche Seele als Geistseele qualifizierende Element;

  • das Konstitutiv des Menschen als Person, Ich, Subjekt (Geistgebundenheit der Person);

  • das Merkmal und der Garant der Identität des Menschen;

  • das Ebenbild Gottes, Unterschiedsmerkmal im Blick auf das Tier;

  • der geschöpfliche, aber nicht materielle Ansatzpunkt (Atenne) für Gottes Handeln am Menschen durch Seinen Heiligen Geist;

  • der Erkenntnisgrund für göttliche Dinge (Haus, da der Glaube und Gottes Wort innewohnt);

  • die eigentliche Triebkraft menschlichen Lebens;

  • von unsterblicher Existenz (65).

Weil durch die Einwirkung von Gottes Heiligem Geist auf den menschlichen Geist dieser sich dem

Geist Gottes im Glauben öffnet und will, was Gott will und so Gottes Geist in sich 'wohnen' lässt, ist Gottes Geist im menschlichen Geist wesenhaft da, wirkt der Heilige Geist im Menschengeist und ist seine Wirkung immer mitgemeint, wenn vom neuen, gewissen oder erneuerten Geist des Menschen die Rede ist (68).


(d) Die Seele als Konstitutionselement des MenschenDie Seele des Menschen gehört zu beiden: zum Geist und zum Leib. Sie ist jenes belebende Element des Leibes nur durch das Innewohnen des Geistes in ihr. Die Seele ist das Innenwesen des Menschen, das einerseits den Geist in sich trägt, andererseits eigentümlich gestimmt ist dadurch, dass dieser Geist Prinzip eines leiblichen Wesens ist. So kann die Seele als das Bindeglied zwischen Leib und Geist bezeichnet werden, das nach Gottes Schöpferwillen die Ganzheit und Einheit der Person des Menschen als Geist, Seele und Leib herstellt, vermittelt und durchhält bis zum Tod. Bezeichnet die Spiritualität den schöpferischen Grund, so bezeichnet die Materialität den der Seele aufgegebenen Wirkungsbereich. Die menschliche Seele gehört in ihrer Mittelstellung und Bindegliedfunktion auf die Seite des Geistes, gehört ontisch zum inneren Menschen. Die menschliche Seele belebt und durchdringt die Materie, aber sie ist nicht Materie (73f).


Die Seele gilt als das Haus des Geistes, d.h. als die nicht-materielle Menschengestalt und -substanz, in die Gott den Geist des Menschen als Lebenskraft und als individuelles Subjekt (Ich, Person)

hineingehaucht hat (Sach 12,1: „Der Herr, der den Geist des Menschen in seinem Inneren bildet“). Im Leib wohnend vermittelt die durch den Geist als menschlich qualifizierte Seele dem Leib das persönliche, individuelle Leben und kann gelten als infusus corpori. Wenn sie wieder ausgegossen wird, d.h. dem Körper entweicht, ist der Körper tot. Die Seele selbst wird aber als ewig angesehen: „Du wirst meine Seele nicht dem Totenreich überlassen“ (Ps 16,10) (74f).

Die Seele ist unsterblich und ewig, weil sie der Teil ist, in den Gott den Geist gegeben hat (76).

Zusammenfassung: Die Seele des Menschen

  • ist ein Konstitutionselement des Menschen

  • ist Geistseele. Sie ist erst lebensfähig, lebendige Seele, durch Gottes Gabe des Geistes in sie hinein.Diese Geistqualifizierung unterscheidet sie von der des Tieres

  • ist Bindeglied zwischen Geist und Leib

  • hat als unkörperliches, aber bis zum Tod dem Körper engst verbundenes Wesen die Gestalt des Leibes

  • gilt als Sitz (Organ) des individuellen Ich-Lebens, des Geistes und kann für 'ich' gebraucht werden.

  • ist durch den ihr innewohnenden Geist unsterblich

  • Der Begriff Seele wird als Bezeichnung des inneren Menschen (für Seele und Geist) gebraucht, weil sie den Geist in sich trägt, der durch sie auch letztbelebendes Element des Leibes ist (78).


 

(e) Der Leib als Konstitutionselement des MenschenDie biblische Schöpfungslehre insistiert auf zweierlei: erstens, dass Gott es ist, in dem alle Existenz, alles Leben seinen Ursprung hat und zweitens, dass der Mensch eine nicht materielle Innenseite als das wesenhaft Menschliche hat, den Gottesodem (Geist), den Gott durch sein besonderes Schöpferwirken in die materielle Bildung des Menschenleibes als Existential hineingegeben, 'eingehaucht' hat (80).


Die Bibel kennt den Menschen als Geist, Seele und Leib. Der in dieser Dreiheit existierende Mensch ist von seiner Bestimmung, in der Gemeinschaft mit Gott zu leben, abgefallen. Er hat des Teufels Ebenbild angenommen (Luther). Aber seine trichotomische Struktur ist nicht verändert. Diese drei Teile bilden eine ungetrennte Einheit, bilden die Ganzheit Mensch bis zu dessen leiblichen Tod. Die DreieinheitKonstitution ist die Ausrüstung des Menschen, um seinen Auftrag, der Mandatar, der Repräsentant Gottes in der Schöpfung zu sein, auszuüben (84f).


(f) Jesus Christus als Ebenbild Gottes und die Gottesbildlichkeit des Menschen

Die Gottesbildlichkeit des Menschen: Imago und similitudo: Der die imago in seinem Kern ausmachende Geist ist unter dem Doppelaspekt zu sehen: einerseits als Gestaltsubstanz (der Natur nach von göttlicher Seinsart, Person, Ich = imago) und andererseits als innere Einstellung, Wesensart (der Eigenschaft nach: wie Gott denken, wollen, handeln = similitudo). Luther: Weil Mose sagt, der Mensch sei auch zur Gottgleiche geschaffen, zeigt er an, dass der Mensch nicht nur darin Gott widerspiegelt, dass er Verstand, Intellekt und Willen hat (Person ist), sondern auch, dass er damit Gottgleiche hat, d.h. dass sein Wille und Intellekt so beschaffen sind, dass er damit Gott erkennt und damit will, was Gott will usw. Nicht nur zum Bild sondern zum perfekten Ebenbild Gottes ist der Mensch geschaffen (87).


Erst mit der auf Gott hin ausgerichteten, der Gott gehorsamen imago als similitudo ist der status originalis gegeben. Der Urstand ist dadurch gekennzeichnet, dass der zum Ebenbild Gottes (imago) in der Mitteilung des Geistes aus Gottes Geist geschaffene Mensch in seiner coram-Relation zu Gott im Gehorsam war, in Übereinstimmung seines Wollens und Lebens mit Gottes Willen, dass der Geist des Menschen (imago) 'Geist' und noch nicht 'Fleisch' war. Die Grundbeziehung des Menschen war in Ordnung, er lebte in Gottesgemeinschaft, im Gottesgehorsam (88).


Der Mensch bleibt auch post lapsum Leib, Seele und Geist. Aber der ganze Mensch ist verdorben, weil der Geist 'verkehrt', aus der imago Dei zur imago diaboli geworden ist. Der Mensch ist auch als gefallener 'elohimgestaltig', ist Leib, Seele und Geist (91f).


Die Gottesebenbildlichkeit Jesu Christi: Der absolute Gegensatz von Schöpfer und Geschöpf ist in Jesus Christus als Einheit zur Rettung des Menschen Ereignis geworden in der singulären Erscheinung des Gottmenschen. Mit seinem Verkündigen, Tun und Verhalten hat Jesus das ganze irdische Leben hindurch die ursprüngliche similitudo gelebt (Hebr 1,3) und hat in der Einheit von imago und similtudo die bei der Schöpfung beabsichtigte Gottebenbildlichkeit des Menschen verkörpert als das wahre Ebenbild Gottes (2Kor 4,4; Kol 1,15). In dieser Einheit ist er den Weg des absoluten Gottesgehorsams gegangen „ward gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8) und hat als der zweite Adam das vollbracht, was vom ersten erwartet, aber schuldhaft verfehlt wurde und damit den Menschen den Rückweg von ihrem Sein als imago diaboli zur imago Dei eröffnet (93).


Erneuerung der imago des Menschen: Die neue Kreatur, der neue Mensch in uns nimmt nur seinen Anfang und wird nicht vollendet, solange wir in diesem Fleisch sind. Es sind nur erste Ansätze, wenn wir den Willen haben zum Gotteslob, zum Danken, Bekennen, Leiden usw. Dennoch schafft es das Evangelium, dass wir zu jenem besseren Gottesbild erneuert werden, weil wir zur Hoffnung auf das ewige Leben durch den Glauben wiedergeboren werden. Die Erneuerung der verlorenen Gottebenbildlichkeit des Menschen ist nur möglich durch die Kraft Jesu Christi der sie als Erstling oder als zweiter Adam gelebt hat. Wenn die Gottesbildlichkeit als imago (der Mensch als Person) nie aufgehört hat zu bestehen, so ist aber die Ebenbildlichkeit qua similitudo total zerstört. Nur Jesus Christus hat das Menschenleben in der in Gottes Schöpferwillen beabsichtigen similitudo gelebt, in völliger Übereinstimmung mit diesem Willen und kann darum auch allein durch Seine Kraft, durch Seinen Heiligen Geist die similitudo des Menschen, der Ihn im Glauben aufnimmt, wiederherstellen und damit die imago im gottgewollten Sinn transformieren (94f).


Die Gottesbildlichkeit des Menschen ist durch den Sündenfall nicht verloren, sondern eignet dem Menschen nach wie vor:

  • Die Gottesbildlichkeit ist als imago und similitudo zu sehen.

  • Imago betrifft den Menschen als Person, als Ich (Geistelement). Similitudo betrifft die

Entsprechung zur gottgesetzten Bestimmung des personalen Lebens der Menschen (Gehorsam gegen Gottes Willen, Gemeinschaft mit Gott, Gottes Partner).

  • Wo imago als similitudo existiert, ist von Gottebenbildlichkeit zu sprechen. Nach dem Sündenfall kann nur bei Jesus Christus von Gottebenbildlichkeit die Rede sein, während für alle Menschen nur das Wort Gottesbildlichkeit angemessen ist.

  • Die similitudo ist durch den Sündenfall total zerstört. Die imago als Person des Menschen (Konstitutionselement Geist) ist erhalten, aber durch den Verlust der similitudo pervertiert. Es eignet dem Menschen nach wie vor die imago als Personsein, aber nicht imago als Ebenbildsein – nicht die Ursprungsimago.

  • Die ntl Botschaft proklamiert die Wiederherstellung der similitudo der verbliebenen imago durch die Tat Jesu Christi, wenn dieser im Glauben durch den Heiligen Geist angenommen wird.

  • Die ntl Botschaft proklamiert den neuen Menschen in Christus (2Kor 5,17), der der Bestimmung des Menschen post Christum gemäß lebt, der den Sinn des Lebens begriffen hat (96).

Der geschaffene Geist des Menschen als sein ontisches Existential (Luther: als höchster, edelster Teil des Menschen) macht die Gottebenbildlichkeit des Menschen als imago aus. Sie ist ihm mit dem Geistelement innewohnend. Sie ist als Geistelement ganz erhalten. Nicht die imago ist durch den Sündenfall verloren, aber die similitudo. Der Mensch ist auch in statu corruptionis imago geblieben. Gänzlich verloren ist die similitudo (97).

Die Erlösungstat Jesu Christi gilt gerade dem Menschen, der durch das zu seiner Konstitution gehörende Strukturelement 'Geist' als Ebenbild Gottes qualifiziert, jedoch zur imago diaboli pervertiert ist, dem Menschen, der die similitudo total verloren hat, sie aber, wie Luther nachdrücklich betont, durch Christus widergewinnen soll und kann, um so auch die imago aus der Perversion zu befreien und nach Gottes Willen wiederherzustellen (2Kor 5,17) (97f).


 

 

(3) Sterben und Tod des Menschen : Der Geist und die Seele des Menschen sind unsterblich, d.h. wenn der Körper tot ist und verwest, besteht der innere Mensch über den Tod hinaus. Die unlösbare Einheit von Geist und Seele wird durch den Körpertod nicht aufgehoben. Die Menschenseele ist im Unterschied zur Tierseele lebendige Seele durch das Innewohnen des Geistes als des Elements, das sie als menschliche Seele konstituiert und zur Geistseele macht (98f).


Der Geist ist als Odem und Lebenskraft Besitz des Menschen von der Schöpfung her, den der Mensch im Tod an Gott zurückgibt. Das Sterben des Menschen ist das Entweichen des Geistes vom Körper. Der Tod ist die vollzogene Trennung des Geistes vom Körper (101).


Dass die Seele beim Tod entweicht, dass ihr dies möglich ist, hängt mit ihrer durch den Geist ermöglichten Unsterblichkeit zusammen, weil wie Luther sagt: Gott den Teil der menschlichen Natur, in den Er sein Ebenbild (Geist) hineingegossen hat, nicht sterblich sein lassen kann, sondern nach des Körpers Tod existent sein lässt (102f).


Das Sterben des Menschen ist der Vorgang der Lösung des Geistes und der Seele vom Körper (106).



(4) Ewiges Leben

(a) Weiterleben aller Verstorbenen: Die biblische Einsicht in die Formalstruktur des Todes als Trennung des Geistes und der Seele vom Leib lässt das Weiterleben des inneren Menschen nach dem Tod als die Weiterexistenz der Person als Geist und Seele, als Geistseele erkennen. Das menschliche Ich ist nur an Geist und Seele gebunden und bleibt auch ohne Leib post mortem dasselbe menschliche Ich in Identität mit sich selbst. Diese Aussage gilt für alle Menschen. Die Weiterexistenz des Menschen als Geist und Seele gehört zu den Ordnungen Gottes als des Schöpfers und Erhalters, gehört zur kreatorischen Setzung Gottes. Die Lebendigkeit nach dem Tod ist Gottes kreatorische Ordnung nach des Menschen Tod, wie die Lebendigkeit des Menschen in seinem irdischen Leben vor dem Tod Gottes Schöpfungsordnung ist (107f).


Alle Menschen werden nach dem Tod als Geist und Seele weiterexistieren, durch die ihre Person und Persönlichkeit schon im irdischen Leibesleben konstituiert ist in Identität mit sich selbst. Wie der Mensch in seinem irdischen Dasein Person ist, 'lebendige Seele' allein durch den von Gott in ihn hineingegebenen Geist (Lebensodem), so existiert der Mensch auch nach seinem Tod, nach Ablegung des Leibes als die Ich-Person weiter durch den innewohnenden Geist, der seiner Seele

Unsterblichkeitscharakter verleiht. Die Weiterexistenz eines jeden nach seinem Tod tritt gesetzmäßig ein, weil es eine Setzung Gottes des Schöpfers in seiner kreatorischen Funktion der Erhaltung ist. Wie Christus Mk12,26 sagt, ist Gott ein Gott der Lebendigen nicht der Toten. Darum müssen die Menschen ewig leben, sonst wäre er nicht ihr Gott (108f).


(b) Einheit der Person als Geistseele post mortem: Der Geist ist der Personkern. Die Seele ist dessen Wohnung, Gestalt, Lebensform, wie sie als solche auch das Leben des Leibes ist, der ohne sie zur Leiche wird. Der Leib ist das Instrument der Wirksamkeit des inneren Menschen auf Erden, das 'Haus', darin sich die irdische Existenz des Ich, der individuellen Person als Geist und Seele vollzieht. Wenn dies „unser irdisch Haus, diese Hütte zerbricht“ (2 Kor 5,1), wenn Geist und Seele sich beim Tod vom Körper trennen, ist die personale Einheit von Geist und Seele, die Einheit des inneren Menschen in keiner Weise gefährdet oder aufgehoben, da die menschliche Seele nur vom Geist erfüllt existent ist im Unterschied zur Seele des Tieres. Die Person des Ich als Geist und Seele (Geistseele) bleibt bestehen und wechselt nur die 'Hütte', wie dies auch 2Ptr 1,13f deutlich erkennbar ist: „…solange ich in dieser Hütte bin, weiß ich, dass ich diese Hütte bald verlassen muss“. Das Ich ist dasselbe in der Hütte und nach Verlassen der Hütte; der innere Mensch ist derselbe während der Zeit im irdischen Körper und nach dem Tod. Wenn bei diesem sich Geist und Seele vom Leib trennen, bleiben aber beide ungetrennt das eine Ich, in Identität vor und nach dem Tod, unsichtbar und ewig (2Kor 4,18). Die klassische Stelle für die Weiterexistenz von Geist und Seele in ihrer Einheit als das Ich des Menschen ist Jesu Verheißungswort am Kreuz an den bereuenden Übeltäter: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). Das Du (Ich) des Übeltäters, das jetzt noch in dem am Kreuz hängenden Leib sein 'Haus' hat, wird frei von diesem 'Haus' existieren und mit Jesus „im Paradies sein“. Die Existenz des Menschen als Geist und Seele vollzieht sich nach dem Tod in Identität mit seiner Person vor dem Tod (109f).


(c) Unmittelbarkeit der Weiterexistenz nach dem Tod: Das Weiterleben des inneren Menschen nach dem Tod, das jenseitige Leben als Seele und Geist (Geistseele), setzt im Leibestod ein. Mit dem Wort Jesu „heute wirst du mit mir im Paradies sein“ will Jesus sagen, dass der Tod sofort den Übergang in die andere Welt bringt. Im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus bringt Jesus zum Ausdruck, dass es dabei um das Schicksal unmittelbar nach den Tod geht. Luther sagt: Wie ein Kind aus der Enge des Leibes seiner Mutter in die Weite der Welt hineingeboren wird, so geht der Mensch den engen, aber nicht langen Weg durch die Pforte des Todes aus diesem Leben in die unvergleichlich umfassendere Weite des ewigen Lebens (112f).


(d) Erhaltung der Identität des Ich: Die Seele hat ihr besonderes Charakteristikum durch den ihr innewohnenden Geist und damit durch ihren den Tod überdauernden Bestand. Die Ich-Bestimmtheit des Menschen, seine Personalität, sein Sein als ein Ich-Subjekt ist ihm von Gott verliehen durch das Seinsexistential Geist, das seine Seele zur Geistseele macht, ihr zur personalen Existenz verhilft, wie dies ihm die individuelle Gestalt gibt und im Leib zu existieren ermöglicht und dies als Ordnung des Schöpferwillens Gottes (154).


Mit der Antwort auf die Sadduzäerfrage (Mk 12,26f par): „Gott ist nicht ein Gott der Toten sondern der Lebendigen“, „denn sie leben ihm alle“ (Lk 20,38) macht Jesus deutlich, dass jenes jenseitige Leben, in dem man den Engeln gleich und unsterblich ist (Lk 20,36), bereits die haben, die ihre Glaubensväter sind: Abraham, Isaak und Jakob, zu denen Gott nach deren irdischem Tod als zu Existierenden in Beziehung steht und nicht als nur zu einst Gewesenen. Gott ist Gott dieser lebendigen Väterpersonen, deren Ich trotz ihres Leibestodes schon vor der Auferstehung Jesu Christi existent geblieben ist und nicht wie ihr Leib der Todesherrschaft unterliegt. An die Stelle der kurzen Zeit bis zum Tod tritt die unbegrenzte Zeit des Lebens vor Gott: „Sie leben ihm alle“ (Lk 20,38) (155f).


Wenn Jesus (Lk 13,25; Mt 8,11) sagt: „… wenn ihr sehen werdet Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes und euch hinausgestoßen“, dann geht es um geschichtliche Personen von einst. Dasselbe gilt für Mose und Elia bei der Verklärung Jesu, die identisch sind mit jenen geschichtlichen Menschen von einst und doch existieren, mit Jesus reden und von Petrus, Jakobus und Johannes gesehen werden konnten (Mk 9,2ff par). Dies sind Hinweise darauf, dass nach dem Leibestod das Ich des Menschen existiert und mit dem Ablegen des Leibes die Person des Menschen nicht nur einmal gewesen ist. Denn sie ist nicht leibgebunden, sondern geist-seelisch konstituiert. Der innere Mensch als Geist-Seele ist dasselbe Ich, das „im Fleisch“ Christus und den Menschen zu dienen hat (Phil 1,22.24) und das „außer dem Leibe daheim beim Herrn“  sein kann (2Kor 5,8) (156f).


Bei der Beschreibung von Jakobs Tod heißt es, dass er „verschied und zu seinen Vätern versammelt wurde“, obwohl er erst ein Vierteljahr später begraben wurde (im Erbbegräbnis Mamre). Das Versammeltsein bei den Vätern tritt unmittelbar nach dem Tod ein und ist nicht ausschließlich auf dieselbe Gruft bezogen, in die der tote Leib gelegt wird. Nach Gen 35,29 wird Isaak auch vor dem Begrabenwerden zu seinen Vätern versammelt (157 Anm.).


Jesus spricht (Mt 20,28): „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber die Seele nicht töten können“. Die Unzerstörbarkeit der Person wird hier mit der Unzerstörbarkeit der Seele charakterisiert, wie Jesus nach Jh 12, 25 ewiges Leben der Seele verheißt, so dass auch, um die Person der Märtyrer im jenseitigen Leben zu bezeichnen, einfach von den „Seelen derer, die …“ in Offb 6,9 und 20,4 gesprochen wird (158).


Die Seinsweise nach dem Tod ist für irdische Augen nicht sichtbar, aber doch mit individueller Form und Gestalt, die die Personen nach dem Tod sich gegenseitig erkennen lassen (Lk 16,23: der Reiche und Lazarus). Die Erkennbarkeit deutet auf eine individuelle Gestalt, die aber nicht aus der Stofflichkeit der Erde, nicht aus Materie besteht (159f).


Auch wenn Fleisch und Blut, der materielle Teil des Leibes als Erde wieder zur Erde wird, bleibt der belebende Teil des Leibes, die Seele. Sie existiert weiter mit dem sie bestimmenden, ihr innewohnenden geschaffenen Geist und hat als solcher Lebensteil auch die Individualität, Gestalt, Form der Person, die vor dem irdischen Tod mit dem Leib den individuellen Menschen ausmacht und ist darum jenseitig erkennbar (161).


(5) Die Reichweite der Heilstat Jesu ChristiDie Verkündigung der Gnade Gottes in Jesus Christus ist nicht an die Grenze des irdischen Lebens gebunden. Sie kann nicht durch den Tod nach seinem Eintreten am Menschen in dessen postmortaler Existenz gehindert werden. Wenn Gott das Reinigungsfeuer von Schicksalsschlägen gibt, die schon im irdischen Leben die Menschen auf den rechten Weg bringen, so ist es nicht unglaubhaft, dass so etwas auch nach diesem Leben geschieht. Die Frage nach einer inneren Entwicklungsmöglichkeit der Entschlafenen, aber jenseitig Wachen und Lebendigen kann nicht grundsätzlich verneint werden. In Korinth (1Kor 15,29) unterzogen Christen sich dem Taufsakrament zugunsten der Toten, deren jenseitiges Schicksal man für beeinflussbar hielt, von deren Weiterexistenz nach dem Tod man überzeugt war und deren jenseitiges Ergehen man damit zu ihrem Heil auf dem Weg zu Christus hin meinte fördern zu können (183f).

Gute Botschaft für Judas Ischariot (H. Gollwitzer): Die Menschheit, in der Judas dauernd vorkommt, ist es und keine andere, die Gott so sehr geliebt hat, dass er seinen Sohn preisgab, damit alle, die darauf vertrauen, ewiges Leben haben (Jh 3,16). Ist mit dem Tod des Judas alles für ihn aus? Hat sinnverfehltes Leben nur eine Chance zur Rettung auf der Strecke zwischen Geburt und Tod? Ist der Tod die unüberwindliche Besiegelung der Endgültigkeit von Sinnverfehlung? Wenn ja, dann kapituliert die christliche Botschaft vor der Todesgrenze und damit vor der Todesherrschaft. Damit wäre aus der Verheißung, die aus unserem unmöglich gewordenen Leben ein neues macht, eine Theorie geworden, die auf uns noch gebliebene Möglichkeiten angewiesen ist. Jh 5,25: „Wahrhaftig, ich sage euch: die Stunde kommt und ist jetzt da, wo die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden und die, die sie hören, werden leben“. Judas ist schon bevor er am Baum hängt 'tot'. Wann er die Stimme hört, die ihm sagt: du sollst leben, ob vor oder nach seinem Selbstmord, ist nicht entscheidend. Denn die Stimme gilt allen und sie kapituliert nicht vor dem Tod (184f).


Es muss verstehbar sein, dass dem Judas auch nach seinem Selbstmord die Verheißung gelten kann. Einem Mausetoten kann nichts mehr gelten, keine Verheißung, keine Verurteilung. Es muss erkannt werden können, dass die Person des Judas, des verzweifelten Menschen überhaupt, nicht an seinem verwesenden Leib oder die daraus gewordene Asche gebunden ist, damit eben nicht mit dem Tod des Judas alles für ihn aus ist, damit auch nach Aufhören seines Atems die Verheißung, die aus unserem unmöglich gewordenen Leben ein neues macht, für ihn noch gelten und von ihm vernommen werden kann, damit die christliche Botschaft vor der Todesherrschaft nicht zu kapitulieren braucht. Es geht um die Verstehenshilfen, die die Bibel selbst enthält (185f).


Über den Zustand nach dem Tod (H. Cremer): Für alle Sünder, für die ganze Welt ist Jesus gekommen und hat die Erlösung vollbracht. Es kann niemand verlorengehen oder selig werden, es muss sich an seinem Verhalten zu Jesus und der Erlösung entscheiden. Darum sagt Petrus (1Ptr 3,19f; 4,6) auch den Toten sei das Evangelium verkündet worden, auch solchen, die zu den Zeiten Noahs nicht glaubten. Hieraus dürfen wir entnehmen, dass es im Totenreich noch eine Predigt des Evangeliums gibt zu dem Zweck, auch Tote noch zu gewinnen für das Himmelreich des Herrn. „Dazu ist auch Toten das Evangelium verkündigt, auf dass sie gerichtet werden nach dem Menschen am Fleisch, aber im Geiste Gott leben.“ Die Bekehrung wird allein durch das Wort des Evangeliums bewirkt. Wir dürfen die Toten, von denen wir kein Zeugnis haben, dass sie im Glauben verstorben sind, getrost der Liebe Gottes befehlen, der vielleicht manchen zeugniskräftigen Christen drüben verwenden wird, um die Predigt des Evangeliums unter den Toten fortzusetzen (187f).


Predigt am Grab: Biblisch gegründet kann man darauf hinweisen, dass die Person des Gestorbenen nicht mehr mit diesem Leichnam (Asche) identisch ist, sondern nunmehr in Unabhängigkeit von allem, was der Verwesung übergeben wird, eine andere Existenz vor Gott lebt, als dieselbe Person, als dasselbe Ich, in Identität mit sich selbst, der er gewesen ist, aber ohne Leib (189).


Fürbitte für Verstorbene: Wenn mit dem Tod noch nicht alles über das endgültige Schicksal der

Verstorbenen entschieden ist, wenn die Verstorbenen geistseelisch als Person existieren und wenn nach Offb 20,12f das Urteil dann auch anders ausfallen kann, als es unmittelbar nach dem Tod ausgefallen wäre, ist die Fürbitte geboten wie andere Fürbitten auch. Wir tun gut daran, für unsere Verstorbenen zu beten und sie der Gnade und Treue Gottes in Jesus Christus zu befehlen (189f).
 

Der zur Gemeinschaft mit Gott bestimmte Mensch ist trichonomisch strukturiert; er ist die Ganzheit: Geist, Seele, Leib. Der Geist als das ihn zum Ebenbild Gottes machende Seinselement konstituiert ihn als von Gott ansprechbare Person, als Ich. Des Menschen Personalität ist geistgebunden, nicht leibgebunden. Der Tod ist die Trennung des Geistes und der Seele (Geistseele) vom Leib. Der Leib verwest in die Erde hinein, wird wieder zu Staub. Der innere Mensch (Geist/Seele) existiert nicht irdisch postmortal weiter (190).


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19783, Zur Möglichkeit christlicher Naherwartung, in: G. Greshake, G. Lohfink (Hg.), Naherwartung, Auferstehung, Unsterblichkeit, 38ff

Luther, Martin

1930, Von der Wiederkunft Christi zum Gericht, in: Bekenntnisschriften der ev.-luth. Kirche, Confessio Augustana, Art. XVII, 1912,43 und 1930,69

Marxsen, Willi

1968, Der Exeget als Theologe

Schnelle, Udo

1989, Wandlungen im paulinischen Denken

Schulz, Siegfried

1975, Das Evangelium nach Johannes

Swarat, Uwe

2013, Jenseits des Todes - Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung des Lebens, in: Gemeinsame Hoffnung über den Tod hinaus

Vielhauer, Philipp

1978, Geschichte der urchristlichen Literatur

Vögtle, Anton

1981, Das Buch mit den sieben Siegeln

1998, Unnötige Glaubensbarrieren, VI. Kosmische Endereignisse?

Walter, Nikolaus

1985, “Hellenistische Eschatologie” im NT, in: Glaube und Eschatologie, FS W.G. Kümmel, (Hg) Erich Gräßer